02.04.2025
Museum

Spurensuche 5: Bericht von der Reise nach Berlin - Teil 2

Zum Abschluss des fünften Spurensuche-Projekts stand eine Bildungsreise nach Berlin auf dem Programm. Axel „Beve“ Hoffmann berichtet in zwei Teilen über die Exkursion an die Spree.

Nachdem die gemeinsam vom Eintracht Frankfurt Museum, der Fanabteilung des Vereins und dem Fritz Bauer Institut organisierte Spurensuche über Eintracht und Frankfurt in der NS-Zeit in den vergangenen Jahren nach Theresienstadt, Buchenwald, Dachau und Nürnberg geführt hatte, stand für dieses Jahr eine Reise nach Berlin auf dem Plan.

Zu jeder einzelnen dieser Fahrten gab es ein Begleitprogramm mit Exkursionen und Vorträgen zum jeweiligen Thema. Dieses Jahr beleuchteten wir  in der fünften Ausgabe des Projekts Spurensuche den Widerstand gegen das NS-Regime – den es durchaus durchgehend und in verschiedenen Formen gegeben hat. Allerdings in überschaubaren Maße, Schätzungen gehen heute davon aus, dass sich zwischen 0,4 % bis 2 % der deutschen Bevölkerung dem Widerstand zurechnen lassen. Der Rest hat geduldet, schwang sein Fähnchen oder nahm aktiv am desaströsen Geschehen teil.

Der Leiter des Geschichtsortes Adlerwerke, Thomas Altmeyer, sprach im Rahmen der Veranstaltungsreihe im Eintracht Frankfurt Museum über verschiedene Formen des Widerstandes sowie das nahe Worms gelegene einstige KZ Osthofen, in dem unter anderem der Journalist Richard Kirn inhaftiert war, der lange Jahre über die Eintracht berichtete. Dieses KZ besuchte die Gruppe im Februar. Alexandra Faulhaber, welche die Sportjugend Hessen und die Initative „Nie wieder“ vertritt, hielt einen Vortrag über Frauen im Widerstand – unter besonderer Berücksichtigung der drei Frankfurterinnen Johanna Kirchner, Johanna Tesch und Martha Wertheimer, die alle die NS-Diktatur nicht überlebten.

Den ersten Teil des Reiseberichts finden Sie unter folgendem Link: Zum ersten Teil des Reiseberichts.

Reise nach Berlin - Teil 2

Die Exkursion nach Berlin beinhaltete Ende März neben drei Führungen in bedeutsamen Orten der NS-Geschichte (Gedenkstätte Plötzensee, Bendlerblock, Olympiastadion) einen abschließenden Besuch des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlins Mitte. Erstmals fuhr die Reisegruppe nicht mit dem Bus, sondern mit dem Zug. Im Geist fuhr natürlich Helmut „Sonny“ Sonneberg mit, der 2023 verstorbene Eintrachtler, der als Kind nach Theresienstadt deportiert wurde und das Ghetto fürs Leben gezeichnet überlebt hatte. Erst spät berichtete er über seine Ausgrenzung und Deportation und war 2019 bei der ersten Spurensuche-Fahrt nach Theresienstadt dabei.

Formen des Widerstands

Einen großen Raum nimmt im Bendlerblock das Geschehen rund um den 20. Juli 1944 ein, als es Claus Schenk Graf von Stauffenberg gelang, in der Wolfsschanze in unmittelbarer Nähe Hitlers eine von zwei Bomben zu platzieren. Etliche Attentate auf den Führer waren zuvor gescheitert. Stauffenberg schaffte es, die Bombe trotz seines fehlenden Armes und der drei Finger an der anderen Hand unbemerkt mit einer eigens für ihn präparierten Zange scharf zu stellen. Beim anderen Sprengsatz ging dabei der Zünder kaputt. Ein unglücklicher Zufall wollte es, dass die in einer Aktentasche platzierte Bombe bei der Detonation einen schweren Holztisch in die Luft hob, der Hitler vor den Splittern schützte und auch diesmal nur leicht verletzte. Stauffenberg, der die Detonation aus einiger Entfernung mitbekam, ging davon aus, dass der Führer getötet wurde, flog nach Berlin und wollte den geplanten weiteren Verlauf in die Gänge leiten, die Operation Walküre. Noch am Abend wurden er und die wesentlichen Mitverschwörer verhaftet und wenig später im Hof des Bendlerblocks erschossen. Die Verschwörergruppe bestand insgesamt aus einem konservativen Netzwerk von ca. 250 Angehörigen des Militärs, die den Gräuel des Krieges ein Ende bereiten und ein anderes Deutschland errichten wollten. Der Kreisauer Kreis hingegen war eine zivile Widerstandsgruppe bestehend aus Adel, Christen und Sozialisten um Helmuth James Graf von Moltke, Peter Graf Yorck von Wartenburg, Alfred Delp, Georg Leber, Carlo Mierendorff oder Adolf Reichwein. Sie planten die Zeit nach Ende der Diktatur – auch sie verbanden sich zum Teil mit den Umstürzlern des 20. Juli und bezahlten dafür mit dem Leben.

Der Widerstand war vielfältig, doch viel zu gering – umso höher ist das Engagement einzuschätzen, dass auch Einzelne unter Lebensgefahr an den Tag legten. Erinnert wird an die Studentin Lieselotte Herrmann, Mutter eines einjährigen Sohnes, die schon 1935 von der Gestapo wegen Landesverrat verhaftet und trotz weltweiter Proteste im Juni 1938 in Plötzensee enthauptet wurde. Erinnert wird auch an das gescheiterte Attentat der Einzelperson Georg Elser vom 8. November 1939. Die größte Gruppe, die Widerstand leistete, waren Arbeiter, während Akademiker eher das Rückgrat des Regimes bildeten. 1933 wurde in mehreren von den Deutschen Christen beherrschten evangelischen Landeskirchen sogar der Arierparagraph“ eingeführt – um Konvertiten vorsorglich auszuschließen. Schon Luther empfahl 1543: „dass man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte …“. Dietrich Bonhoeffer kämpfte vergeblich dagegen an.

In der Etage über der Dauerausstellung erinnert die Ausstellung „Stille Helden“ an diejenigen, die sich der Ausrottung der europäischen Juden widersetzten und unter lebensgefährlichen Risiken versuchten, in irgendeiner Form Juden zu helfen – wie der Leiter der Kantonspolizei St Gallen, Paul Grüninger, der 1938 trotz angeordneter Grenzschließung jüdische und nichtjüdische Verfolgte über die Schweizer Grenze ließ oder Georg Ferdinand Duckwitz, der 1943 Deportationspläne dänischer Juden an dänische Politiker weitergab und somit dafür sorgte, dass sich über 7.000 Menschen retten konnten, meist von dänischen Fischern nach Schweden gebracht.

Auflehnung im Warschauer Ghetto, Partisanenkampf, sich dem Morden widersetzen, Verfolgte warnen – all dies waren Formen des Widerstandes, die Leben retteten. Und im Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums, heißt es: »Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als würde er die ganze Welt retten. Und wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zerstört.« Die Welt wurde einige Male gerettet und millionenfach zerstört.

Olympiastadion

Der folgende Morgen führte die Reisegruppe bei strahlendem Sonnenschein mit der S-Bahn vom Tiergarten ans Olympiastadion, jenen monumentalen Bau, der unmittelbar die NS-Diktatur repräsentierte – wurde das Stadion doch extra für die Olympischen Spiele 1936 errichtet, als damals auf Hitlers ausdrücklichen Wunsch weltgrößtes Stadion. Zuvor stand an gleicher Stelle das Deutsche Stadion, geschaffen für die Spiele 1916, die wegen des Ersten Weltkrieges jedoch niemals stattfanden. Für den Neubau wurde es 1934 abgerissen. In nur 28 Monaten Bauzeit entstand anschließend auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern der gigantische Bau, der damals 100.000 Besucher:innen fasste – wie Guide Jonas eindrucksvoll erläuterte. Zum Gelände gehörte auch das Schwimmstadion sowie das Maifeld im Westen, dahinter der 77 Meter hohe Führerturm, der jetzt Glockenturm heißt, darunter die Langemarckhalle, nebenan die Reitanlage. Das Ganze hieß „Reichssportfeld“. 1937 begrüßten Hitler und Mussolini auf dem Maifeld ca. 700.000 Anhänger, die ihnen fackeltragend begeistert zujubelten.

Am zweiten vollen Tag der Bildungsreise wurde das Berliner Olympiastadion besucht.

Die Olympischen Spiele sollten der Welt ein offenes Deutschland vorgaukeln – und gleichzeitig vermittelt durch Codes die wahre Größe Deutschlands vermitteln. Angelehnt an das Kolosseum entwarf Architekt Werner March unter Beratung von Albert Speer ein monumentales Stadion, in dem der einzelne Mensch schon durch die schiere Bogengröße nichtig erscheint – im Unterschied zu seinem Vorbild in Rom, dessen Lichtbögen mannshoch sind. Die Türme am Osttor, verbunden durch die olympischen Ringe, waren rechts am Preußenturm in gleicher Höhe wie die Ringe mit einem Hakenkreuz verziert; den Bayernturm daneben schmückt bis heute eine Uhr. Die Türme, versehen mit Schießscharten, finden mit dem Franken-, Friesen-, Sachsen-, und dem Schwabenturm ihre Pendants auf der Westseite am Maifeld.

Von außen betrachtet wirkt das Stadion, laut Plan die „Deutsche Kampfbahn“, nicht ganz so imposant wie von innen, was daran liegt, dass das Stadion 17 Meter in die Tiefe gebaut wurde und der Eingang ebenerdig ist. Steinerne Figuren wie die Diskuswerfer oder Staffelläufer harren auf dem Außengelände der Dinge. Die Figuren sind massiv und wuchtig gebaut und anmaßend überhöht, kleiner Kopf stabiler Körper. Ganz anders die griechischen Vorbilder, bei denen die übermenschlichen Proportionen den Göttern vorbehalten waren. Das Marathontor wurde errichtet, damit Hitler vom Glockenturm ins Stadion auf sein Volk schauen konnte und vice versa – ein Stadion als Volkskörper. Die Glocke wurde nach dem Krieg durch eine Sprengung beschädigt, vergraben, wiederentdeckt und dient heute als Treffpunkt auf dem Gelände, die Hakenkreuze notdürftig kaschiert. Der Reichsadler hält die olympischen Ringe in seinen Klauen.

Die steinernen Sportler sind massiv und wuchtig, ganz anders als ihre griechischen Vorbilder.
Die ehemalige Glocke des Glockenturms dient heute als Treffpunkt auf dem Gelände.

Die jüdische Hochspringerin Gretel Bergmann, die ausgewandert war, wurde unter Druck zurückbeordert und zum Training unter erschwerten Bedingungen gezwungen – um dann, als die Teilnahme der US-Delegation feststand, (die Teilnahme der USA galt als Legitimation für das NS-Regime) trotz herausragender Leistungen nicht für die Olympischen Spiele 1936 nominiert zu werden. Als Feigenblatt für vermeintliche Weltoffenheit diente auch die jüdische Fechterin Helene Mayer, die für Deutschland startete. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Nazis schon Sinti und Roma aus dem Straßenbild entfernt und in Lager gesteckt. Star der Spiele wurde der schwarze US-Leichtathlet Jesse Owens, dessen Beliebtheit auch Hitler nicht verhindern konnte.

Carl Diem hingegen, ein Nazi, der als Generalsekretär des Organisationskomitees maßgeblich an der Organisation der Spiele beteiligt war, führte den Fackellauf von Griechenland an den jeweiligen Austragungsort ein, ebenso die Auftakt- und Abschlussfeier, – und schwor noch im April 1945 Pimpfe auf den Endsieg ein. Er wird groteskerweise heute noch im Stadion durch eine Plakette geehrt. Erstmals führte Deutschland 1936 als sichtbaren Beweis der vermeintlichen germanischen Überlegenheit den Medaillenspiegel an. Die U-Bahn hatte in Hochzeiten 20.000 Menschen pro Stunde ans Gelände gebracht. Nach Abschluss der Olympischen Spiele forcierten die Nazis die Ausgrenzung und wenig später begann der Zweite Weltkrieg und mit ihm der Holocaust. Auf Stelen wird der deutschen Olympiasieger von 1896 bis 1936 gedacht, darunter Alfred und Felix Flatow, die 1942 bzw. 1945 in Theresienstadt durch Hunger ermordet wurden.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas

Den Abschluss der Reise bildete der Besuch des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in der Mitte Berlins, im Volksmund auch gerne Holocaust Mahnmal genannt. Nach Lea Roshs Anstoß Ende der 80er Jahre, entwarf der US-Architekt Peter Eisenmann ein Denkmal, bestehend aus 2711 Steinquadern unterschiedlicher Höhe, das begehbar und öffentlich zugänglich ist und 2005 eingeweiht wurde. Als nichts erklärendes Kunstwerk geplant, wurde das Denkmal gegen den Willen des Künstlers um eine Informationsausstellung ergänzt, die über die Shoah und einzelne Schicksale berichtet. So erfahren wir, dass im KZ in Treblinka fast so viele Menschen wie in Auschwitz ermordet wurden. Dr. Martin Liepach vom Fritz Bauer Institut schilderte in kurzen Worten Entstehung und Hintergründe des Denkmals und verwies darauf, dass aus dem Denkmal sprachlich ein Mahnmal wurde – eigentlich zwei grundverschiedene Dinge. Wir verloren uns anschließend in der Infoausstellung und dann in den Quadern, die von vorne überschaubar sind, inmitten aber keinen Seitenblick und keinen klaren Ausweg zulassen.

Inmitten der Steinquader des Denkmals.

Am Morgen des vierten Tages saßen wir voller Eindrücke wieder im Zug nach Frankfurt, Deutschland sauste an uns vorbei und wir erinnerten uns an Sonnys Worte: „Passt auf. Seid hellhörig!“. Wie schnell ein Zeitenwandel einsetzen kann, wird uns ja derzeit in den Vereinigten Staaten eindringlich vor Augen geführt. Ab 1933 gingen deutsche Wissenschaftler wie Einstein ins Exil in die USA, heute verlassen Amerikaner wegen Trump das Land.

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