
?Beaten by a zeppelin????
Heute vor einhundert Jahren war in Frankfurt ein Feiertag
für Fußballfans. Dem Eintracht-Vorgänger ?Frankfurter Fußball-Verein? war es
gelungen, die englische Berufsspieler-Mannschaft von Bradford City zum
Freundschaftsspiel zu verpflichten. Das Spiel fand am 2. Mai 1914 um 17.30 Uhr
am vereinseigenen Rosegger-Sportplatz an der Eschersheimer Landstraße statt.
Und dem Frankfurter Fußball-Verein gelang die Sensation: Bradford City wurde
mit 3:1 geschlagen.
Die Saison 1913/14 war eine erfolgreiche für den Frankfurter
Fußball-Verein. Zum dritten Mal in Folge hatte man die Nordkreismeisterschaft
gewonnen und damit den Titel-Hattrick perfekt gemacht. Auch in der Süddeutschen
Meisterschaft hatte sich der FFV wacker geschlagen und gleich am ersten
Spieltag den späteren Deutschen Meister SpVgg Fürth mit 2:1 geschlagen. In der Süddeutschen Meisterschaft erreichte
der FFV hinter den Fürthern einen guten zweiten Platz.
Zufrieden mit dem Verlauf der Saison wollten die
Verantwortlichen den Fans zum Abschluss noch ein spektakuläres
Freundschaftsspiel bieten. Zu Ostern
sollten der VfB Leipzig (Deutscher Meister 1913) und der FC Altona 93 am
Rosegger spielen, beide Vereine sagten aber kurzfristig ab. Nun, die 1-A-Lösung hatte sich zerschlagen,
aber schnell zeigte sich, dass manchmal die vermeintliche zweite Wahl der
Volltreffer ist. ?Im Fußballlager herrscht bald sommerliche Ruhe, da schlägt
plötzlich wie eine Bombe in unseren Reihen das Gerücht ein: `Bradford City`,
diese berühmte englische Mannschaft,
kommt Samstag, den 2. Mai, nachmittags 5 Uhr zu einem Wettspiel? berichtete die
Vereinszeitung des FFV voller Vorfreude. Bradford City, der F.A.-Cup-Sieger von
1911 in Frankfurt. Da trafen Welten aufeinander. Im Viertelfinale hatte
Bradford den FC Burnley 1911 vor für deutsche Verhältnisse unglaublichen 39.146
Besuchern besiegt. Zu den beiden Finalspielen gegen Newcastle United pilgerten
jeweils fast 70.000 Besucher. Und natürlich wusste man in Deutschland, dass das
englische Cup-Finale 1913 sogar 121.919 Fans live gesehen hatten.
Einen nationalen Pokal gab es in Deutschland 1914 noch gar
nicht. Und die Zuschauerzahlen selbst bei Endspielen um die Deutsche
Meisterschaft stiegen zwar beständig, waren aber mit englischen Verhältnissen nicht
ansatzweise zu vergleichen. Das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 1909
zwischen Phönix Karlsruhe und dem Berliner TuFC Viktoria 89 hatten gerade mal
1.500 Fans besucht, 1911 waren es immerhin 12.000 Fans, die die Viktoria mit
3:1 gegen den VfB Leipzig siegen sahen. Das Finale um die Deutsche
Meisterschaft 1914 fand in Magdeburg statt, vor 6.000 Fans gewann die SpVgg
Fürth (die wir in der Süddeutschen Meisterschaft noch besiegt hatten) gegen den
VfB Leipzig mit 3:2 nach Verlängerung.
Allein aufgrund dieser Zahlen kann man sich gut vorstellen,
dass englische Mannschaften in den Kindertagen des Fußballs in Deutschland eine
Sensation waren. Man bewunderte die ?Berufsspieler?, holte sich seine
Niederlage ab und war froh, wenn man berichten konnte, dass man gut mitgehalten
hatte. Solche Spiele hatte Frankfurt schon erlebt: Am 5. Mai 1907 hatte eine
Frankfurt-Auswahl gegen Newcastle United mit 2:6 verloren. Die beiden Tore
wurden als Erfolg gewertet. Auch der
0:6-Niederlage gegen Tottenham Hotspurs am 25. Mai 1911 konnten die
Verantwortlichen des damals neugegründeten Frankfurter Fußball-Verein positives
abgewinnen, denn ?unsere Mannschaft tat, was sie konnte, und hatte auch
einzelne, sehr gute Augenblicke. ... . Das Spiel hat die Mitglieder und
Zuschauer sehr befriedigt, die Hotspurs haben die in sie gesetzten Erwartungen
voll und ganz erfüllt?, berichtete die Vereinszeitung nach dem 0:6 von 1911.
Drei Jahre nach dem 0:6 wollte man es beim FFV besser
machen, mit einem Sieg gegen Bradford City rechnete aber sicher keiner. Trotzdem war die Vorfreude groß und die
Zufriedenheit, solch einen großen Gegner für ein Spiel in Frankfurt gewonnen zu
haben, überall spürbar. Bradford wurde als teure Lehrstunde angekündigt, in der
Vereinszeitung berichtete man, dass ?der Verein tief in den Säckel greifen? musste,
um das Spiel zu vereinbaren, der FFV-Elf wurde von Vereinsseite angekündigt,
dass sie ?an diesem Tage vieles lernen? könne. Die Gäste schoben die Station
Frankfurt kurzerhand in ihren Reiseplan und hatten damit wahrlich ein volles
Programm: 1. Mai: Spiel in Verviers, 2. Mai: Spiel in Frankfurt, 3. Mai: Spiel
in Stuttgart.
Am Nachmittag des 2. Mai 1914 war am Platz an der
Roseggerstraße viel los. 4.000 Fußballbegeisterte wollten das Spektakel gegen
den englischen Cup-Sieger live verfolgen und drängten sich um das Spielfeld,
die kleine Holztribüne, der ganze Stolz des FFV, war proppevoll. Alle wussten längst, dass Bradford am Tag
zuvor in Verviers die Belgische Nationalmannschaft glatt mit 4:0 besiegt
hatte. Und die Fans staunten nicht
schlecht, als sich der FFV als ebenbürtiger Gegner herausstellte. In der 30.
Minute ging Frankfurt durch Rudi Schlüter sogar in Führung, kurze Zeit später
konnten die Gäste ausgleichen. In der zweiten Halbzeit sorgte Rudi Schlüter mit
zwei weiteren Toren für den ersten Frankfurter Sieg über eine englische
Mannschaft. Die siegreiche Elf bestand
aus folgenden Spielern: Wilhelm Gmelin,
Willi Pfeiffer, Dr. Friedrich Claus, Emil Schneider, Fritz Becker, Karl Jockel,
Alois Braun, Otto Köllisch, Martin, Rudi Schlüter, K. Burkhardt. Die
Frankfurter Zeitung berichtete am 3. Mai über das Spiel: ?Die englische
Berufsspielermannschaft Bradford City absolvierte am Samstagabend vor etwa
4.000 Zuschauern ihr erstes Gastspiel auf deutschem Boden gegen den Frankfurter
Fußballverein und unterlag wider Erwarten mit 1:3. Im großen und ganzen waren
die Leistungen gleichwertig, sie ließen, im Vergleich zu dem vor vier Jahren
stattgefundenen Wettspiel zwischen dem Frankfurter Verein und den Tottenham
Hotspurs, die damals überlegen spielten, erkennen, dass das Associations-Spiel
in Deutschland gewaltige Fortschritte gemacht hat. Im einzelnen zeichnete sich
die englische Mannschaft durch gutes Kopfspiel, energisches Stürmen und
scharfes Schießen aus, die Frankfurter verstanden es jedoch, den Gegner durch
gute Tricks zu täuschen, und sich sehr gut durchzuspielen, sie waren auch im
Zusammenspiel etwas besser. Das erste Tor fiel für Frankfurt in der 30. Minute;
zwei Minuten später schufen die Engländer den Ausgleich. Nach der Pause
beherrschten während zehn Minuten die Engländer die Situation, dann kamen die
Frankfurter sehr gut auf, und zwei erfolgreiche Durchbrüche des Frankfurter
Mittelstürmers führten zu dem bejubelten Sieg des Frankfurter Fußballvereins.?
Dass dem Frankfurter Fußballverein am Nachmittag des 2. Mai
1914 mit dem Sieg über Bradford City etwas außergewöhnliches gelungen war,
sieht man beim Blick auf die folgenden Spiele der Engländer: Bereits am 3.
Mai 1914 siegte Bradford bei den
Stuttgarter Kickers mit 1:0, in den folgenden Tagen wurden auch die restlichen
Spiele bei Phönix Mannheim (7:0), AS Strasbourg (4:0), FC Pforzheim (4:1) und
dem FC Basel (4:2) souverän gewonnen. Für die Niederlage in Frankfurt hatten
die Gäste, die dem üblichen abendlichen Bankett übrigens ferngeblieben waren,
eine schöne Ausrede. In einer Chronik des Vereins wird berichtet: ?Not far away
there was a aerodome in which was housed a Zeppelin, and the Germans, eager to
show the visitors what wonders they had, sent the airship sailing over the
ground during the match. This was the first time the Bradford City players had
seen such a sight, and they spent more time watching the monster in the air
than the ball on the ground. There was a loud yell from Jock Ewart, who was the
first to notice the zeppelin, of `Hi,
boys, do you see the areyplane?` It was a hot day and the ground was as hard as a stone. What with that and the airship, City were beaten 3:1? Die kurze
Übersetzung aus der Chronik: Die Deutschen wollten zeigen, was sie für Wunder
haben und ließen einen Zeppelin über dem Feld kreuzen. Die Engländer hatten so
ein ?Ungetüm? noch nicht gesehen, und schauten mehr auf den Himmel als auf den
Platz, Rudi Schlüter nutzte die geistige Abwesenheit für seine drei Tore und
außerdem war der Platz steinhart. Wir Frankfurter halten das natürlich für eine
Ausrede. Den Zeppelin wird es aber gegeben haben, auch wenn keine Frankfurter
Zeitung die Notwendigkeit sah, darüber zu berichten, denn Zeppeline flogen
regelmäßig über die Stadt. Bereits im
Sommer 1909 hatte in Frankfurt die ?Internationale
Luftschiffahrt-Ausstellung? stattgefunden,
am 31. Juli 1909 war das erste Luftschiff in Bockenheim gelandet (daran
erinnert bis heute der ?Zeppelinstein?). 1914 gab es bereits einen
Linienverkehr zwischen Düsseldorf, Bad-Oos, Berlin-Johannisthal, Gotha,
Frankfurt, Hamburg, Dresden und Leipzig und eine Erweiterung auf internationale
Ziele war in Planung.
Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Wenige Wochen nach
dem Gastspiel von Bradford wurde der österreichisch-ungarische Thronfolger
Franz Ferdinand in Sarajevo von
serbischen Nationalisten ermordet. Österreich-Ungarn erklärte Serbien daraufhin
am 28. Juli 1914 den Krieg. Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen und aus den
sportlichen Gegnern vom 2. Mai 1914 wurden Feinde. Sowohl für den Frankfurter
Fußballverein als Vorgänger der Eintracht, als auch für Bradford City, hatte
der Erste Weltkrieg massive Folgen.