11.08.1930

Eine Luftschiffreise mit Ernst Winter

Der erfolgreichste Turner der Eintracht war Ernst Winter. 1934 wurde er in Budapest Weltmeister am Reck, 1936 mit der deutschen Mannschaft Olympiasieger. 1942 kam Ernst Winter bei Stalingrad ums Leben.

In einer Vereinszeitung der Turnabteilung findet sich ein Artikel von Ernst Winter aus dem Jahr 1930. Damals gewann er bei dem Mittelrhein-Kreisturnfest in Hanau und bei den 1. Deutschen Kampfspielen in Breslau.

Nach dem Sieg beim Mittlerhein-Kreisturnfest wurde Winter von einem Gönner zu einer Fahrt im Zeppelin eingeladen. Nachfolgend präsentieren wir seine Geschichte im Luftschiff, die in den Vereinsnachrichten der Turngemeinde Eintracht im August 1930 veröffentlicht wurde.


Als Passagier im ?Graf Zeppelin?


Das 34. Mittelrheinische Kreisturnfest ist mit seinen schönen Tagen und herrlichen Erfolgen kaum verraucht, als an mich eine zuerst kaum glaubliche Einladung erging. Ein Anerbieten des Turnbruders Herrn Schneider aus Butzbach, welches mir möglich machte, eine achtstündige Rundfahrt im ?Zeppelin? mitzumachen, war die Krönung aller meiner Erfolge. Ich war schon dankbar für jeden Glückwunsch, der mir anlässlich meiner Erfolge zuging, und dachte in meinem Innern schon, ob es nicht zu viel der Ehre sei. Mich freut es schon aus tiefstem Herzen, wenn es mir gelingt, einen guten Sieg an die Fahne unseres Vereins zu heften, und bin auch unserm Verein sowie unseren Turnlehrern dankbar, das sie mir die Gelegenheit gaben, dies alles zu erlernen, um mich bei den Deutschen Kampfspielen in Breslau an die Spitze der Elite aller Zwölfkämpfer der Deutschen Turnerschaft zu sehen und in Hanau nur noch diesen Sieg erneut unter Beweis zu stellen. Wie ich es aber unserm hochverehrten Turnbruder Herrn R. Schneider danken soll, das er mir diese große Freude und Bevorzugung zuteil werden ließ, weiß ich nicht.
Außer mir war noch der zweite Sieger Wilhelm Leichum aus Neu-Isenburg eingeladen worden, und wir beide waren außer uns vor Freude und konnten es zuerst nicht fassen. Die Spannung kann ich kaum beschreiben, aber verraten will ich, das ich die Nacht vor dem großen Ereignis kaum ein Auge zumachen konnte. Erstens vor Aufregung und dann aus Angst, ich könnte evtl. meinen Zug versäumen, der schon sehr früh hier in Frankfurt am Main wegging. Ich traf Turnbruder Leichum am Montagmorgen am 11. August in Darmstadt am Bahnhof. Wir begaben uns sofort nach dem Treffpunkt aller Zeppelin-Passagiere, ?Hotel Traube?, von wo aus wir mit einem Omnibus der Hapag nach dem Griesheimer Exerzierplatz hinausfuhren. Unter vielen Ausländern standen wir dann auf dem Rollfeld und harrten geduldig auf die Landung des ?Graf Zeppelin?. Jeder glaubte, er müsste ihn zuerst sehen. Sämtliche Feldstecher suchten alle Bäume am Horizont ab, ob nicht bald etwas von dem Riesenluftschiff zu sehen sei. In circa 10 Sprachen hörte man denselben Gesprächsstoff.
Um ½ 8 Uhr machte es sich selbst bemerkbar, sehen konnten wir es nicht, aber das Geräusch seiner fünf Motoren kam deutlich an unser Ohr. Der von vielen Menschen umsäumte Platz kam in große Begeisterung, als sich nun ?Graf Zeppelin? seinem Landungsplatz näherte. Das Landungsmanöver ging glatt von statten und herzlich begrüßten wir beide unseren Freund und Gönner, der die vorangegangene Nachtfahrt über die Nordseehäfen und Bäder schon mitgemacht hatte. Schon auf der Treppe, und erst recht im Innern der Kabinen, kamen wir beide nicht aus dem Staunen heraus. Alles, was es für mich hier Neues gab, übertraf meine Erwartungen. Die Inneneinrichtungen der Kabinen des Luftschiffes, in ihrem Ausmaße und  in ihrer Ausstattung, lässt in einem den Gedanken wach werden, das man sich eher in einem kleinen Vestibül eines Hotels befindet, als im Innern eines Luftschiffes. Wir hatten uns kaum häuslich in der Kabine des Herrn Schneider niedergelassen, als auch schon der Befehl zum Aufstieg gegeben wurde. Wir sicherten uns in einer größeren Kabine gleich einen schönen Platz, von dem wir Gelegenheit hatten, alles gut zu beobachten. Unter dem Jubel einer nach Tausenden zählenden Menge erhob sich das Riesenluftschiff in die Lüfte. Die Menschen unter uns, die Häuser, die Wälder, alles wurde kleiner und war von oben anzusehen wie Spielzeug. Ich dachte unwillkürlich an die vielen Ermahnungen, die mir tags zuvor von Bekannten mitgegeben wurden, das man aufpassen müsse, um nicht luftkrank zu werden. Aber von dem ersten Moment, in dem ich das Luftschiff betreten hatte bis zur Landung, hatte ich ein Gefühl der Sicherheit, als könnte da oben in der Höhe gar nichts passieren. Nach einer großen Schleife über Darmstadt nahmen wir dann, die Bergstraße entlang, Kurs auf Heidelberg. Bei all dem Schönen, was ich erlebte und was mir noch bevorstand, wurde mir von Herrn Schneider während der Fahrt ein Eichenkranz mit zwei seidenen Schleifen überreicht, mit einem Gruß und Gut-Heil aus dem erfolgreichsten deutschen Luftschiff für den 1. Zwölfkampfsieg. Am frühen Morgen hatten wir allerdings nicht so schönes Wetter, so das wir zeitweise über den Wolken fuhren und dadurch keinen Überblick auf die unter uns liegende Landschaft hatten. Wie wir uns dann über Mannheim und Ludwigshafen befanden, hatte sich der Nebel geteilt und wir sehen unter uns alle Städte und Dörfer, die Leute auf den Häusern, in den Straßen, in denen sich der Verkehr in den frühen Morgenstunden abwickelte. Es ging dann mit ziemlich großer Geschwindigkeit den Rhein entlang über Worms, Oppenheim, Mainz, Wiesbaden, und es war mir ein Vergnügen, die Straßen und Plätze der mir bekannten Städte unter uns zu erkennen.
Bei schönstem Wetter und herrlicher Aussicht überfuhren wir dann den Taunus, das Lahngebiet mit seinen schönen Wäldern und Burgen, über den Westerwald, über das Siebengebirge und sahen unter uns bald zu unserm Erstaunen schon die Ortschaften vor Köln und in einiger Entfernung grüßte uns schon der heilige Dom der alten, ehrwürdigen Stadt. Wir wollten kaum glauben, das wir uns schon vier Stunden in der Luft befanden, und merkten erst über Köln, wie schnell die Zeit dahinschwand. Wir erinnerten uns gegenseitig an die schönen Tage des Deutschen Turnfestes und sahen unter uns den Neumarkt, auf dem damals die Bannerübergabe stattfand, das Stadion in geringer Entfernung, die Gebäude der Pressa. Nie hätte ich mir vor zwei Jahren auf dem Deutschen Turnfest träumen lassen, dass ich einmal in solcher Höhe im ?Zeppelin? über das heilige Köln dahinfliegen würde.
Es ging jetzt wieder rheinaufwärts über das schöne Rheintal. Wir hatten unser Fenster gut besetzt, denn allmählich hatten auch die vielen Ausländer Interesse an der schönen Landschaft unter uns gefunden, und wollten nun von uns wissen, wie die vielen Burgen und Felsen und die schönen Städte alle hießen. Bonn, Godesberg waren schon überflogen, wir kamen wieder in das Gebiet unseres schönen Mittelrheinkreises; wir sahen den Rolandsbogen, Neuwied und schon kam Koblenz mit der Festung Ehrenbreitstein und dem Deutschen Eck in  Sicht. Der herrliche Rheinstrom, das Rheingebirge lag herrlich zu unseren Füßen. In der Sonne sahen wir den Schatten des Zeppelins unter uns im Rhein, wie einen großen Fisch.
Die nächsten Städte, Ober- und Niederlahnstein, Stolzenfels, Boppard, Braubach, waren schnell unseren Blicken entschwunden und schon näherten wir uns dem vielbesungenen Loreleyfelsen mit dem großen Turnerheim des Gaues Südnassau der Deutschen Turnerschaft. Ein herrliches Gefühl, so unter sich die sagenumwobenen Burgen und Felsen zu sehen, von denen wir Deutsche so schöne Lieder zu singen wissen. In schneller Fahrt streiften wir dann das Niederwalddenkmal, kamen dann über Eltville, Oestrich-Winkel mit ihren vollstehenden, übergrünen Weinbergen, näherten uns dann Mainz, Wiesbaden und nahmen dann Kurs nach Frankfurt.
Die beiden Kapitäne Lehmann und Flemming, denen wir am Vormittag des Tages durch Herrn Schneider vorgestellt worden waren, baten uns dann in die Führergondel, und nun sollte ich angeben, wie wir über Frankfurt fahren sollten! Über Höchst, Griesheim, Kamerunviertel kamen wir dann über den Hauptbahnhof, Kaiserstraße, Hauptwache, um dann nach meinen Angaben in nächster Nähe über mein Wohnhaus zu fliegen. Ich konnte unter mir alles mit größter Deutlichkeit erkennen, die Leute auf den Dächern, auf den Straßen alle voller Begeisterung. Wir winkten von oben mit einem großen Tischtuch, das uns der Obersteward gegeben hatte, und mit einer Winterflagge. Wir hörten nachträglich, das es viele Leute bemerkt haben.
Über Neu-Isenburg, wo wir den Turnbrüdern zuwinkten, fuhren wir dann in der Richtung Darmstadt davon. In Darmstadt ging dann die Landung vor einer großen Menschenmenge unter den Klängen des Deutschlandlieds glatt von statten.
Wir nahmen dann Abschied von den Herren Offizieren des Luftschiffes und verließen mit sehnsüchtigen Blicken den Luftriesen, der nach einigen Minuten schon wieder startbereit war, um nach Friedrichshafen in seinen Heimathafen weiterzufliegen. Wir waren dann noch einige Stunden mit Turnbruder Herrn Schneider in Darmstadt und Frankfurt zusammen.
In meiner Turnerlaufbahn war es bis jetzt wohl das größte Erlebnis, dass es mir vergönnt war, als erster Turner und auch Sportler etwas derartig Großes mitzumachen. Stets werde ich aber auch mit dankerfülltem Herzen an jene Stunden zurückdenken.

Ernst Winter.

Nachtrag:
Vielleicht wundert man sich über ?Die Gebäude der Pressa? in Köln. 1928 fand in Köln die ?Internationale Presse-Ausstellung?, kurz Pressa statt. 1.500 Aussteller, davon 450 aus 43 verschiedenen Ländern, zeigten die wachsende Bedeutung des Zeitungswesens und der Kommunikationstechnik.