Am vergangenen Sonntag organisierte das Eintracht Frankfurt Museum einen Rundgang über den Frankfurter Hauptfriedhof, der am Grab von Richard Kress endete. Bei schönstem Frühlingswetter gab es hier für die Teilnehmenden einen Schluck Apfelwein, der auf den 100. Geburtstag des bis heute ältesten Bundesligadebütanten getrunken wurde. Das Grab, dessen Patenschaft das Museum 2021 übernommen hat, war zum Feiertag mit Blumen und Eintrachtschal geschmückt. Die Laune der Anwesenden war gut, trotz vorabendlicher Niederlage belegte die Eintracht Tabellenplatz Drei in der Bundesliga. Und den Ball vom Europapokalfinale 1960, den Richard einst für die Eintracht gesichert hatte, bestaunten am Faschingssonntag die Gäste zahlreicher Führungen durch das Museum und das Stadion.
Als Richard Kress am 30. März 1996 an den Folgen eines Herzleidens verstarb, stand seine Eintracht mit dem Rücken zur Wand. Am Todestag verlor die Mannschaft gegen Borussia Mönchengladbach mit 0:2 und rutschte ab auf Platz 15. Charly Körbel musste den Trainerstuhl räumen, die Verantwortlichen hofften vergeblich, das Stepi das Ruder herumreißen würde. „Die Nachricht passte zum Tage der Turbulenzen am Main. Der traurige Abschied von einem Spieler, der für die ruhmreichste Epoche der Eintracht stand, färbte die Gemütslage beim Bundesligaverein noch dunkler ein. Der große Name ruft glanzvolle Zeiten in Erinnerung in einer Phase, in der die Frankfurter am Tiefpunkt sind“, schrieb Steffen Haffner in einem bewegenden Nachruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Richard Kress, der „Blitz von Horas“, wurde 71 Jahre alt. In der Frankfurter Fußballgeschichte ist er bis heute lebendig – nicht nur als Meister 1959 und als Torschütze im Europapokalfinale 1960. Weggefährten erinnern sich, dass Richard ein väterlicher Freund war, aber auch ein ehrgeiziger Fußballer und ein großer Spaßvogel. „In unserer Mannschaft war Richard der Chef, gemeinsam mit Alfred Pfaff. Er war ja 15 Jahre älter als unsere jüngsten Spieler Lindner und Lutz. Allein durch das Alter war er eine Respektsperson, er war aber einfach auch ein feiner Kerl“, erinnert sich Egon Loy, Torhüter der Meistermannschaft.
Der „feine Kerl“ Richard wurde am 6. März 1925 in Niesig, heute ein Stadtteil von Fulda, geboren. Mit 10 Jahren begann er beim FV 1910 Horas Fußball zu spielen. Nach der Volksschule erlernte er den Beruf des Drogisten. Mit 17 Jahren musste Richard zum Reichsarbeitsdienst, danach zur Wehrmacht. Während des Zweiten Weltkriegs war er in Marseille stationiert, als die Invasion der Alliierten in Südfrankreich startete. Er geriet in Kriegsgefangenschaft und kehrte erst 1948 zurück in die Heimat. Er arbeitete als Drogist und kickte beim FV Horas, sein Talent sprach sich jedoch schnell herum bis nach Frankfurt. Der Legende nach gab der spätere FR-Sportchef Bert Merz den entscheidenden Hinweis auf den „Blitz von Horas“. Jedenfalls reiste der mythenumwobene Spielausschussvorsitzende Willi Balles höchstselbst nach Fulda und gewann den 28-Jährigen 1953 für die Frankfurter Eintracht.
Der "Blitz von Horas" bei der Eintracht
Richard Kress siedelte um nach Frankfurt und wurde bei der Eintracht heimisch. Er eröffnete seine eigene Drogerie, nachmittags reiste er per Straßenbahn zum Training an den Riederwald. Am 19. Dezember 1954 debütierte er als 29-Jähriger beim 3:0 in Lissabon gegen Portugal in der A-Nationalmannschaft. Insgesamt kam Kress auf neun A-Länderspiele, in denen er zwei Tore erzielte. Obwohl er in allen Qualifikationsspielen zur WM 1962 in Chile dabei war, sortierte ihn Sepp Herberger zum Finalturnier kurzfristig aus. Die Nichtberücksichtigung zur WM war seine einzige sportliche Enttäuschung.
Mit der Eintracht gewann Richard 1959 die Deutsche Meisterschaft, der Titel, den die Fans bis heute als den größten Vereinserfolg feiern. In der ersten Minute der Verlängerung des Endspiels gegen Kickers Offenbach wurde er im Strafraum gefoult, der Schiedsrichter entschied auf Elfmeter. Zurecht, da sind sich alle Frankfurter einig. Feigenspan traf zur Frankfurter Führung, am Ende siegte die Eintracht 5:3 gegen den Lokalrivalen.
1960 erreichte die Eintracht als erste deutsche Mannschaft das Endspiel um den Europapokal. Als Richard Kress uns in der 18. Minute gegen die Königlichen von Real Madrid mit 1:0 in Führung brachte, schoss er sich in die Geschichsbücher. Die Aufnahme des Frankfurter Fotografen Herbert Mehrens, die den hochkonzenrierten Kreß vor der Kulisse einer unglaublichen Zuschauerwand beim erfolgreichen Abschluss zeigt, ist bis heute eines der ikonischsten Eintracht-Motive. Mittlerweile gehört es zur Allgemeinbildung von Eintrachtlern, dass das Finale 1960 zwar mit 3:7 verloren ging, aber als eines der besten Spiele aller Zeiten gilt. Und mehr als 50.000 Gäste bewundern jedes Jahr im Eintracht Frankfurt Museum den originalen Spielball vom Finale 1960. Den hatte sich Richard nach Spielende vom Schiedsrichter höchstselbst gesichert, beim abendlichen Bankett von den Spielern von Real und der SGE signieren lassen und dann mit nach Hause genommen.
Steffen Haffner schrieb 1996 im Nachruf der FAZ: „Mit seinem Namen verbindet sich der Begriff des Abrackerns. Der Rechtsaußen, der seine Gegenspieler müde lief und sie schwindlig dribbelte, fühlte sich nie eng an seine Position gebunden. Er war überall dort zu finden, wo Not am Mann war; eben noch vorne, half er Minuten später schon wieder vor dem eigenen Tor aus.“ Egon Loy erinnert sich schmunzelnd, dass sich Richard manchmal doch an seine Position gebunden fühlte: „Wenn wir einen Abstoß gemacht haben von der rechten Seite, dann musste der Ball auf Richard gespielt werden. Wenn ich den Ball mal auf die linke Seite geschlagen habe, dann kam Richard noch in der Halbzeitpause und hat sich beschwert.“
Abenteuer Bundesliga & Ende der Fußballkarriere
1963 startete Kress mit seiner Eintracht in das Abenteuer Bundesliga. Am ersten Spieltag war er bereits 38 Jahre alt, bis heute ist er der älteste Debütant der Liga. Zwei Treffer gelangen ihm in 17 Spielen in der neuen Eliteklasse, gegen Schalke 04 und den TSV 1860 München. Ein Jahr später beendete er seine große Karriere nach 369 Pflichtspielen, in denen er 99 Tore erzielte. Insgesamt stand Kress 573 mal für die Eintracht auf dem Platz, in Vorbereitungs- und Freundschaftsspielen, die in den 1950er und 1960er Jahren für die Vereine wichtige Einnahmequellen waren. Seine letzten Auftritte waren Freundschaftsspiele der Südafrikareise 1964. In den drei Wochen verliebte sich der frischgebackene Fußballrentner in das Land, später reiste er mit seiner Frau Inge regelmäßig nach Windhoek, pflegte Freundschaften und lernte Südafrika und Namibia näher kennen. In Frankfurt betrieb er mit Inge weiterhin seine Drogerie im Oeder Weg 71. Die Drogerie war ein beliebter Treffpunkt von Autogrammsammlern, auch Dr. Othmar Hermann, der heute vor jedem Spiel auf der Waldtribüne über historische Ereignisse berichtet, war als junger Mann oft zu Gast, um Bilder unterschreiben zu lassen. In der Freizeit züchteten Inge und Richard Blumen und pflegten Obstbäume im gemeinsamen Garten am Huthpark. In der Gartenhütte gab es stets einen guten Apfelwein aus dem eigenen Fass. Ein ganzes Geschirrset mit tönernen Bechern war „Sir Richard“ gewidmet.
25 Jahre lang spielte Richard in der Folge in der Traditionsmannschaft seiner Eintracht, die damals oft einfach „Prominentenmannschaft“ genannt wurde. Am Riederwald gehörte er zu einer Clique, die jede Woche Tennis spielte. Hier traf er seine Meisterkollegen Adolf Bechtold, Dieter Stinka und Dieter Lindner, außerdem Bubi Kraus und den ehemaligen Leichtathleten Heinz Ulzheimer. 1984 feierte er mit seinen ehemaligen Mitspielern auf Einladung des Eintracht-Mäzens Alexander Loulakis im feinen Frankfurter Hof den „Ball der Erinnerungen“, das erste große Treffen der 1959er Meistermannschaft. Und immer wieder traf er seine Kumpels im „Grauen Bock“ in Sachsenhausen.
Den Niedergang der Eintracht Mitte der 1990er Jahre verfolgte Richard mit großer Sorge. Er starb, als der Verein am Abgrund stand. Das Wellenbad der Eintrachtgefühle erlebte Richard nicht mehr mit, den Abstieg, die Aufstiege, den Lizenzentzug, die großen Unruhen am Riederwald und im Stadion. Und er durfte auch nicht Anteil nehmen am Aufblühen des Vereins, der seit 2005 in einem reinen Fußballstadion spielt und mittlerweile mehr Mitglieder hat als der einst übermächtige Gegner Real Madrid.
Auch die große Anerkennung, die der 1959er Mannschaft speziell seit der Jahrtausendwende entgegengebracht wird, hat Richard Kress nicht mehr miterlebt. Heute gibt es im Stadion die 1959er-Loge, in der sich die Meistermannschaft trifft. In der Fankurve wird die 1959er-Fahne geschwenkt und die Helden von Einst beobachten ganz genau, wenn diese mal vergessen wird. Zu besonderen Anlässen kommt Ekko Feigenspan angereist. Der dreifache Endspieltorschütze, der 1959 den an Richard verursachten Elfmeter sicher verwandelte, ist bei Augsburg heimisch geworden. Zuletzt reiste Ekko mit seiner Gattin 2022 mit nach Sevilla, wo die 1959er den Europapokalsieg gemeinsam mit ihrer Eintracht-Familie gefeiert haben. Übrigens inklusive Orga-Chaos rund um das Finale. Nach der Siegerehrung musste die glückliche Ü-80-Truppe mehrere Kilometer vom Stadion zum Hotel laufen.
Am Mythos der Meistermannschaft hat Richard Kress trotzdem großen Anteil: Der Ball, den er 1960 nach dem Finale gegen Real Madrid gesichert hat, wurde anlässlich des 100. Geburtstags der Eintracht 1999 erstmals im Historischen Museum ausgestellt. Als das Eintracht Frankfurt Museum 2007 eröffnet wurde, hat uns Inge Kress den Ball und neben weiteren Erinnerungen auch ein prächtiges Fotoalbum mit Motiven der Meisterschaft von 1959 geschenkt.
Nach dem Tod von Inge hat das Museum die Patenschaft für das Grab von Richard übernommen. Diese Geste hat für eine große Resonanz innerhalb der Eintracht-Familie gesorgt. Stefan Schell, seit vielen Jahren einer der Köpfe des Fanclubs EFC Schwarze Geier, kümmert sich mit seiner Freundin Claudia liebevoll um die Anlage und achtet darauf, dass das Grab eines Endspieltorschützen würdig ist. Regelmäßig finden Friedhofsrundgänge statt, bei denen an große Eintrachtlerinnen und Eintrachtler erinnert wird und die am Grab von Richard Kress enden, dass sich im Gewann F 1533 direkt hinter dem Mausoleum Reichenbach befindet. Und immer wieder kommen wir zum Grab und finden kleine Erinnerungsstücke, die Fans und Freunde dort niedergelegt haben. Auch zum 100. Geburtstag am heutigen Donnerstag werden sich Freunde am Grab treffen, Mannschaftskamerad Dieter Stinka hat seinen Besuch schon angekündigt. Richard Kress, der „Blitz von Horas“, ist in Frankfurt unvergessen.
Wir gratulieren ganz herzlich zum 100. Geburtstag, Richard!
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