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18.02.2015
Klubmagazin

„Wilmots war eine Maschine“

Die Saison 1998/99 nimmt einen besonderen Platz im Gedächtnis aller Eintracht-Fans ein.

Der dramatische Klassenerhalt gegen Kaiserslautern am letzten Spieltag ist legendär. Zu diesem Endspiel wäre es aber nie gekommen, hätte die Eintracht eine Woche zuvor nicht gegen den heutigen Gegner, den FC Schalke 04, gewonnen. In einer denkwürdigen Partie machten die Adler am 33. Spieltag aus einem frühen 0:2-Rückstand noch einen 3:2-Sieg. Eintracht-Traditionsspieler Alexander Schur war damals mit von der Partie und erinnert sich an 90 Minuten Wahnsinn.

Alex, die Ausgangslage vor eurem Spiel am 22. Mai 1999 in Gelsenkirchen war klar: Gewinnen oder Absteigen. Welche Erinnerungen hast du an dieses Spiel?

Das war für mich eines der dramatischsten Spiele überhaupt. Es liegt nur eine klitzekleine Stufe unter dem Kaiserslautern-Spiel. Im Prinzip waren wir ja schon weg, wir durften keinen Punkt mehr abgeben, das war uns klar. Jeder wusste, worum es ging. Es waren massenhaft Eintracht-Fans in Gelsenkirchen, überall wo unser Bus lang kam. Die Atmosphäre hat gebrodelt.

Der Start ins Spiel verlief denkbar ungünstig. Warum seid ihr so schnell ins Hintertreffen geraten?

Schalke hatte ein sehr starkes Team, selbst wenn sie in dieser Saison tabellarisch keine Bäume ausgerissen hatten. In der Anfangsphase konnten wir dem Druck nicht standhalten, der auf uns lastete. Wir lagen nach 15 Minuten bereits mit 0:2 hinten, das ging richtig in die Hose. Der Fehlstart war mental ein ziemlicher Rückschlag, trotzdem haben wir uns zusammengerissen. Der Anschlusstreffer durch Fjörtoft noch in der ersten Hälfte war ein ganz wichtiges Lebenszeichen.

Wie hat Jörg Berger euch in der Halbzeit eingeschworen?

Es war die Kunst von Jörg Berger, die Mannschaft immer im Spiel zu halten, den Hebel umzulegen und die Hoffnung in Leistung umzuwandeln. Das hat er in der Kabine wunderbar geschafft. Er ist zu uns hingegangen, hat jedem in die Augen geschaut und den Glauben zurückgegeben, dass wir es noch packen können. Ich kann mich sehr gut an diese Rolltreppe im Parkstadion erinnern. Als wir in der Halbzeitpause die Rolltreppe hochfuhren, stand es schlecht um uns. Als wir aber wieder runtergefahren sind, ging ein spürbarer Ruck durch die Mannschaft.

Der hat sich dann auch auf dem Spielfeld bemerkbar gemacht...

Wir haben wieder an uns geglaubt. Das 2:2 hat uns dann endgültig zum Leben erweckt. Danach hieß es alles oder nichts. Ich kriege heute noch eine Gänsehaut, wenn ich mich daran erinnere, wie Olaf Janßen das 3:2 macht... Wahnsinn.

Du hattest mit Marc Wilmots einen sehr starken Gegenspieler, kannst du dich noch an dieses Duell erinnern?

Damals war Marc Wilmots in seiner Blütezeit, das war ein unglaublich harter Brocken. Der war in jedem Zweikampf präsent, hat immer alles reingelegt, ob in der Luft oder am Boden. Aber diese Art von Gegner ist mir immer lieber gewesen als einer, der sich Ewigkeiten nicht im Zweikampf blicken lässt und dann doch im entscheidenden Moment das Tor macht. An starken Gegenspielern wie Effenberg, Ballack oder eben Wilmots habe ich mich immer aufgerichtet. Da bist du bis in die Haarspitzen motiviert. Wilmots war eine Maschine, ein echter Leader. Er war der Motor von Schalke 04, es war klar, dass man ihn nicht ins Spiel kommen lassen durfte. Das ist gottseidank gelungen.

In der Schlussphase begann das große Zittern. Bei hochsommerlichen Temperaturen mussten eure Kräfte dem Riesenaufwand Tribut zollen. Wie hast du die letzten Spielminuten erlebt?

Es war richtig heißes Wetter. Wir waren stehend K.O., weil wir so viel investiert hatten. In dieser Situation war jede Taktik über den Haufen geworfen. Es ging nur noch darum, das Ergebnis irgendwie über die Zeit zu bringen. Da musst du dich in alle Zweikämpfe reinschmeißen, alles vom Tor weghalten, Zeit gewinnen. Das war auch in den anderen Endspielen so, egal ob Kaiserslautern, Ulm oder Reutlingen: Am Schluss trägt dich nur noch der Wille. Dein Körper will Ruhe haben, sich hinlegen, dein Kopf sagt aber Nein, du musst nochmal richtig Gas geben. Die Konzentration ist absolut am Limit, jeder Fehler kann dein Ende bedeuten. Das ist mental eine unheimliche Anspannung.

Und Schalke kam nochmal zur Riesenchance...

Die Schalker hatten in der letzten halben Stunde mit René Eijkelkamp einen extrem kopfballstarken 1,95-Meter-Hünen im Sturm gebracht, der alles versucht hat. Die haben alles nach vorne geworfen und wollten das Spiel unbedingt kippen. Ich erinnere mich noch genau an die Szene, in der Eijkelkamp kurz vor Schluss hochsteigt, aufs Tor köpft und Oka Nikolov den Ball mit einem unfassbaren Reflex pariert. Daran konnte man schon sehen, dass in diesem Spiel jeder über sich hinausgewachsen ist. Wenn dieser Ball reingegangen wäre, hätten wir den Klassenerhalt nicht gepackt. Es ist unglaublich, wie eng immer alles beieinander liegt.

Dann pfiff der Schiedsrichter ab, ihr hattet es geschafft. Was hat dieser Sieg mit euch gemacht, wie war die Stimmung in der Mannschaft, auch mit Blick auf das Saisonfinale?

Es herrschte große Erleichterung aber keine hundertprozentige Freude. Wir wussten ja, dass das nur ein weiterer Etappensieg war und die Tour mit dem letzten Spiel gewonnen werden musste. Wir erfuhren auch gleich die Ergebnisse der anderen. Wir hatten nach dem Spiel das Gefühl: Jetzt ist alles möglich! So einen Spielverlauf hast du nicht oft, auswärts ein 0:2 gegen eine personell stärkere Mannschaft zu drehen. Das zeigte uns, dass wir mental stark und als Mannschaft eine Einheit waren, die niemals aufgab. Diese Mischung aus angespannter Freude, hoffnungsvoller Voraussicht und Drucksituation, dieses Gefühl alles schaffen zu können, wenn man alles gibt und will – das war nach dem Spiel in den Köpfen. Auch der Zuspruch der Zuschauer hat eine echte Schulterschluss-Atmosphäre geschaffen.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du an die damalige Mannschaft zurückdenkst?

Jeder einzelne in dieser Mannschaft hatte in der Saison entscheidende Situationen, egal ob Chen Yang, Olaf Janßen, Bernd Schneider, Uwe Bindewald, Oka Nikolov, Ralf Weber oder wie sie alle heißen: Jedes Tor, jede Vorlage, jede Abwehraktion war entscheidend. Alles stand auf des Messers Schneide. Darüber nachzudenken was gewesen wäre, wenn eine einzige dieser Aktionen misslungen wäre, ist schon Wahnsinn.

Nun stehen sich die Eintracht und Schalke erneut gegenüber. Was erwartest du von diesem Spiel?

Spiele gegen Schalke sind immer Prestigeduelle. Die Tradition dieser Begegnung hat viele denkwürdige Schlagabtausche geliefert. Man nehme nur das Spiel, über das wir eben sprachen oder unser 6:0 im Pokal 2005. Schalke hat nach wie vor eine super Mannschaft, so eine zu schlagen richtet einen auf. Die Art und Weise wie die Eintracht diese Saison spielt, immer mit offenem Visier nach vorne, wird auch in diesem Spiel dazu führen, dass die Schalker keine ruhige Minute haben werden um hinten ein sicheres Aufbauspiel zu betreiben. Ich glaube, dass wir gerade gegen gute Gegner eine starke Mentalität an den Tag legen und noch ein Quäntchen Konzentration mehr aufbringen. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir das Spiel gewinnen werden und das sogar klar.