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14.12.2018
Traditionsmannschaft

„Vielleicht hat uns Juve nicht für voll genommen“

Im vierten Teil unserer Serie über die Europapokal-Erinnerungen unserer Tradi-Spieler geht das Wort an einen echten Pfeiler des Erfolgs der frühen Neunziger: Ralf Weber. 259 Pflichtspiele hat der inzwischen 49-Jährige mit dem Adler auf der Brust bestritten, 21 davon im UEFA-Cup.

Von Ralf Weber

Europapokal-Spiele waren immer etwas Besonderes, das ist klar. Vor allen Dingen, wenn es gegen international bekannte und renommierte Mannschaften ging. Für mich persönlich ragt ein Gegner während meiner Karriere besonders hervor: Juventus Turin in der Saison 1994/95. Auch wenn das eine Geschichte ohne Happy End war, haben wir uns gegen diese Topmannschaft sehr gut geschlagen. Drei von vier Halbzeiten waren ein echtes Highlight.

Die Ausgangslage war alles andere als günstig. Nach einigen sehr erfolgsverwöhnten Jahren spielten wir 1994/95 in der Bundesliga eine Rolle, die weit hinter unseren eigenen Ansprüchen zurückblieb. Statt um die Meisterschaft mitzukicken hingen wir im unteren Tabellenmittelfeld fest und fanden als Truppe einfach nicht zueinander. Dann auch noch das ganze Theater rund um die Suspendierung von Tony Yeboah, Maurizio Gaudino und Jay Jay Okocha – ich möchte das an dieser Stelle gar nicht weiter ausbreiten, aber es ist klar, dass interne Querelen nicht gerade förderlich waren.

Die Liga verlief also frustrierend, im UEFA-Cup haben wir dafür ein ganz anderes Gesicht gezeigt. Dort hatten wir uns mit Siegen gegen Olimpija Ljubljana, Rapid Bukarest und den SSC Neapel bis ins Viertelfinale vorgearbeitet und uns von der starken Seite präsentiert. Und dann kam Juventus als italienischer Vizemeister und werdender Meister. Damals spielten ja nur die Landesmeister in der Champions League. Alle weiteren Topmannschaften waren im UEFA-Cup. Und als solche war Juve natürlich auch überragend besetzt: Angelo Peruzzi, Roberto Baggio, Alessandro del Piero, Didier Deschamps, Gianluca Vialli, Fabrizio Ravanelli, Paulo Sousa, Jürgen Kohler… eine Hammermannschaft.

Wir wussten, dass wir nicht so auftreten konnten wie in der Liga, sonst würden wir zweimal eine Packung bekommen und völlig chancenlos rausfliegen. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir im Vorfeld des Hinspiels das erste Mal so etwas wie eine Videoanalyse gemacht. Mit VHS-Kassette. Nichts geschnittenes, keine Analyse in dem Sinne, dass du dir ein paar ausgewählte Offensiv- und Defensivaktionen anschaust, sondern ein ganzes Ligaspiel. So haben wir uns auf den Gegner eingestellt. Das läuft heute natürlich alles viel professioneller ab, aber damals war das so. Das hat uns trotzdem geholfen, die einzelnen Gegenspieler besser kennenzulernen. Und natürlich war jeder Einzelne topmotiviert. Man will sich im eigenen Stadion gegen solch eine Mannschaft nicht vorführen lassen.

Vielleicht lag es daran, dass uns Juve nicht ganz für voll genommen hat, jedenfalls sind wir im Hinspiel wirklich gut reingekommen. Wir waren feldüberlegen, hatten etliche Chancen – und dann hat Juve mit dem ersten Schuss das Tor gemacht. Das war eben ihre Qualität. Und trotzdem war dieser Spielstand völlig unverdient. Wir sind aber trotzdem drangeblieben. In der zweiten Halbzeit kam Slobo Komljenovic links im Strafraum zum Schuss und Jan Furtok konnte zum Ausgleich abstauben. Dabei blieb es dann auch.

So sehr wir uns darüber freuten, dass wir Juventus das Unentschieden mit einer starken Leistung abgerungen hatten, wussten wir aber auch, dass wir kein optimales Ergebnis erzielt hatten. Juve hatte das wichtige Auswärtstor gemacht. Dennoch war nach dem Hinspiel klar, dass wir auch in Turin unsere Chancen kriegen würden, wenn wir mutig nach vorne spielen würden. Die Atmosphäre im Stadio delle Alpi in Turin war alles andere als furchteinflößend.  Es waren relativ viele Eintrachtler dabei, wie immer eigentlich. Die „Verrückten“ fahren ja überall hin. Es war also nicht so, dass wir wie die Osterhasen dort gestanden und uns in die Hose gemacht hätten.

Ganz im Gegenteil. Thorsten Flick hat über die rechte Seite richtig Dampf gemacht. Ich hatte eine riesen Kopfballchance, Manni Binz eine gute Gelegenheit nach Doppelpass frei vorm Torwart und auch Jan Furtok hatte seine Möglichkeiten. Juve hat all das zugelassen. Wir waren einfach zu nachlässig mit unseren Chancen und wie im Hinspiel haben die Italiener das eiskalt bestraft. Als sie in der 70. Minute in Führung gingen, war das schon ein Dämpfer für die Moral. In den letzten Zügen des Spiels mussten wir alles riskieren und haben auf diese Weise noch zwei weitere Gegentreffer kassiert. Auch wenn das Ergebnis deutlich ausfiel, gehe ich davon aus, dass Juve am Ende einfach froh war, alles überstanden zu haben. Wirklich zufrieden können sie mit ihrer Leistung nicht gewesen sein.

Für uns war das Ausscheiden natürlich ärgerlich. Aber die Stimmung war hinterher gar nicht so schlecht, weil wir in beiden Spielen wirklich eine gute Leistung gezeigt hatten. Trotz des Ausscheidens erinnere ich mich gerne an diese beiden Spiele zurück.