Am zweiten Tag der Reise stand der Besuch des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes auf dem Programm. Wie schon im Memorium teilten wir uns am Morgen nach Ankunft an der Kongresshalle in zwei Gruppen auf und wie schon tags zuvor nahmen sich Vertreter:innen des Vereins „Geschichte für alle e. V.“ uns an und führten sachkundig über das weitläufige Gelände, in dessen unmittelbarer Nähe im heutigen Max Morlock Stadion der 1.FC Nürnberg seine Heimspiele austrägt – und die Eintracht 1932 das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen die Münchner Bayern verlor. Viele von uns werden schon in der „Großen Straße“ am angrenzenden Messegelände geparkt haben.
Noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 inszenierte die NSDAP mehrere Parteitage, die jedoch mit denen ab 1933 nicht mehr vergleichbar waren. 1923 in München und 1926 in Weimar sowie 1927 und 1929 in Nürnberg. Erst ab 1933 lieferten die Reichsparteitage jene Propagandabilder der organisierten Masse, die Leni Riefenstahls Propagandafilm über den Parteitag von 1934 mit dem Titel „Triumph des Willens“ auch noch ästhetisch überhöhte. Diese Parteitage, der letzte ging 1938 über die Bühne, waren mitnichten Orte der Debattenkultur. Sie dienten ab 1934 jeweils im September der Propaganda, dem Führerkult und der völkischen Überhöhung.
Organisator der Parteitage war Robert Ley, auch „Reichstrunkenbold“ genannt, der sich 1946 seiner Verurteilung durch Suizid entzog. Verantwortlicher Architekt war Albert Speer, der später als Rüstungsminister tief in den Holocaust verstrickt war und dem es dennoch gelang, im Nürnberger Prozess seine wahre Beteiligung an den NS-Verbrechen zu verschleiern – woraufhin er der Todesstrafe entging und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Ihm oblag die Gestaltung des 16,5 km² großen Geländes und der Gebäude mit Ausnahme der Kongresshalle, die von den Nürnberger Architekten Ludwig Ruff und dessen Sohn Franz konzipiert wurde.
Die Planung sah neben der monumentalen Kongresshalle nach Art des Kolosseums in Rom ein Stadion für 400.000 Menschen vor, dazu das Zeppelinfeld samt Zeppelintribüne, die Bebauung des Luitpoldhains mit der Luitpoldarena, das Märzfeld, (eine 1000 Meter breite und 600 Meter lange Aufmarschfläche umrahmt von Zuschauertribünen und Wehrtürmen) am Ende der Großen Straße, eine zwei Kilometer lange und 60 Meter breite Paradestraße. Hinter dem Märzfeld sollte ein Bahnhof entstehen. Fertiggestellt wurden die Zeppelintribüne und die Luitpoldarena. Im September 1939 überfiel Nazi-Deutschland Polen und der 2. Weltkrieg begann. Und auf dem Märzfeld resp. dem Bahnhof entstand nach Kriegsende der Stadtteil Langwasser.
Die Ruine der Kongresshalle, die eigentlich doppelt so hoch werden sollte, zeugt selbst in der jetzigen Form von einem Größenwahn der Nationalsozialisten, der alle Baustile des Monumentalen absorbierte, um ein in dieser Größe noch nie dagewesenes neoklassizistisches Gesamtbild zu erzeugen. Als Vorbilder dienten die mächtigen Bauwerke einstiger großer Weltreiche wie das der Römer oder der Griechen. Die Kongresshalle ist ein bis heute auf halber Höhe unvollendeter Bau ohne Dach – und symbolisiert damit auch den Untergang des 1000-jährigen Reiches nach desaströsen zwölf Jahren. Vom gigantischen Plan des Deutschen Stadions blieb alleine der Grundstein, außer einigen hölzernen Fassaden wurde nichts in die Tat umgesetzt.
Die Massenaufläufe während der Parteitage in der Luitpoldarena, die gottgleiche Inszenierung Hitlers als Heilsbringer und Messias, die reliquienhafte Verehrung der Blutfahne, die angeblich schon 1923 beim gescheiterten Hitlerputsch in München mitgeführt wurde, die choreographierte Wucht des ab 1936 aus hunderten (Flag)scheinwerfern in die Nacht geworfenen Lichtdoms (Kathedrale aus Eis) auf dem Zeppelinfeld, standen in ihrer Inszenierung im krassen Gegensatz zur alltäglichen Realität. In den Lagern hinter dem Märzfeld stank es nach Fäkalien, da die wenigen Toiletten bei Weitem nicht ausreichten und die SS achtete vor den Bordellen in der Stadt darauf, dass diese nicht in Uniform besucht wurden. Zu sehr hatten die Parteisoldaten sich gehen lassen. „Ein Nationalsozialist trinkt nicht“ lautete ein Wahlspruch – der getrost ignoriert wurde, das Bier im Lager war billiger als in der Stadt und die Geburtenzahlen schossen neun Monate nach den Parteitagen in Nürnberg in die Höhe. Kein Wunder, dass privates Fotografieren während der Parteitage streng verboten war. Kein Funken Wirklichkeit sollte die Inszenierungen trüben. Acht Tage lang inszenierten sich die Nationalsozialisten in falscher Größe, 400.000 – 500.000 Menschen der neuen, großen Volksgemeinschaft berauschten sich an Masse, Propaganda, Fassade, Drill und huldigten dem Führer. Und sie lauschten 1935 der Verkündung der Nürnberger Rassengesetze, die ein wesentlicher Baustein der Ausgrenzung und späteren Vernichtung derer waren, die die Nazis nicht zur Volksgemeinschaft zählten. Wie Juden oder Sinti und Roma.
Zum Rahmenprogramm der Reichsparteitage gehörten Sportveranstaltungen, an denen auch Vertreter, vorwiegend Leichtathleten, der Eintracht teilnahmen. Aber auch die Fußballer statteten im März 1939 vor einem Freundschaftsspiel gegen den Club dem Gelände einen Besuch ab. Die einstigen Juddebuben lobpreisten in den Stadionheften regelrecht Bauten und Politik des Nationalsozialismus. Dass der Überfall auf Polen dafür sorgte, dass der 1938er Parteitag auch der letzte seiner Art blieb und der für 1939 geplante „Parteitag des Friedens“ wegen des Einmarschs in Polen ins Feuer fiel, ahnten sie wohl ebenso wenig wie die fast vollständige Zerstörung Nürnbergs nach Kriegsende.
Heute zeigt sich das Gelände am Dutzendteich eher friedlich. Im See schwimmen rosa leuchtende Bootsflamingos, auf dem Volksfestplatz wartet ein Riesenrad auf Kundschaft und vor dem Mittelteil der Zeppelintribüne mit der einstigen Führerkanzel, dem neben der Kongresshalle einzig verbliebenen Bauwerk der Nazis, drehen Jogger ihre Runden. Der Rest der mächtigen Tribüne, die an den griechischen Pergamonaltar erinnerte, wurde 1967 gesprengt. Einerseits wegen Baufälligkeit, andererseits wurde so auch ein Teil der unangenehmen Vergangenheit entsorgt. Eine der markanten Feuerschalen steht heute im Goldenen Saal, einer über 300 m² großen Halle innerhalb der Tribüne. Die andere wurde buntbemalt bis 2008 als Kinderplanschbecken im Schwimmbad genutzt. Als Bob Dylan 1978 auf dem Zeppelinfeld konzertierte, wurde dessen Bühne so konzipiert, dass die 80.000 Zuschauer die Führerkanzel hinter sich wussten und anders als in den 30er Jahren Hitler während des Konzerts symbolisch den Rücken zukehrten.
Zeitgeschichtlich Interessierte können heutzutage das gesamte Areal rund um den Dutzendteich durchwandern und sich auf einem historischem Rundgang anhand von 12 Tafeln über die großmannssüchtigen Pläne der Nazis und deren (krachend gescheiterte) Umsetzung informieren.
Es ist kalt geworden, fröstelnd suchen wir eine Wirtschaft auf, um uns zu wärmen - und wenig später auf der Autobahn bei Würzburg einen schweren Unfall zu beobachten, Blaulicht kreist in den grauen Tag, aber unser Busfahrer bringt uns sicher zurück nach Frankfurt. Müde und voller Gedanken verstreut sich die Gruppe in alle Winde. Bis zur nächsten Spurensuche. Die ja nicht nur die Vergangenheit erhellt, sondern auch die Gegenwart beleuchtet.
Nie wieder ist jetzt!
Kontakt
Eintracht Frankfurt Museum
Deutsche Bank Park/Haupttribüne
Telefon: 069 95503275
E-Mail: museum@eintrachtfrankfurt.de