zaehlpixelzaehlpixel
03.04.2024
Museum

Spurensuche 4: Bericht von der Reise nach Nürnberg - Teil 1

Die Länderspielpause nutzten die Fanbetreuung und das Museum, zur Abschlussreise des vierten Spurensuche-Projekts einzuladen. Axel „Beve“ Hoffmann vom Museum blickt in zwei Teilen auf die Reise zurück.

2019 rief das Eintracht Museum gemeinsam mit der Fanbetreuung das Projekt „Spurensuche“ ins Leben, welches sich seither intensiv mit der Eintracht in der NS-Zeit und darüber hinaus beschäftigt. Begleitet wurde das Projekt bis zu dessen Tod im Februar 2023 von Helmut „Sonny“ Sonneberg, der als Kind Zeuge der brennenden Synagoge am Börneplatz wurde und später in einem der letzten Frankfurter Transporte der Deportation ins Ghetto nach Theresienstadt anheim fiel. Während der vergangenen Jahre berichtete er als Zeitzeuge ebenso ausführlich wie anrührend über sein Leben, welches ihn nach seiner Rückkehr aus dem Ghetto zur Frankfurter Eintracht geführt hatte. Entsprechend führte die erste Fahrt des Spurensuche-Projektes im Herbst 2019 nach Theresienstadt. In den folgenden Jahren standen zudem Besuche der Konzentrationslager in Buchenwald bei Weimar und Dachau nahe München auf dem Programm.

Die nunmehr vierte Reihe der Spurensuche behandelt die ersten Jahre der Nachkriegszeit – die Abschlussreise sollte uns diesmal nach Nürnberg bringen, dem Ort der mächtig inszenierten Reichsparteitage der NSDAP, aber auch der Schauplatz des ersten Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher.

Vorausgegangen waren wie stets im Rahmen des Projektes etliche Vorbereitungsveranstaltungen. So referierte Felix Börner über die Eintracht in der Nachkriegszeit, Tobias Freimüller berichtete über den Neuanfang jüdischen Lebens in Frankfurt nach der Shoah und Matthias Thoma stellte seine Biographie über Sonny vor, deren Veröffentlichung dieser leider nicht mehr miterleben durfte. Wir besuchten die Westend-Synagoge in Frankfurt sowie das ehemalige Lager für Displaced Persons in Zeilsheim. Und wenige Tage vor Beginn der Reise führte uns Stefan Minden das Drama der deutschen Nachkriegsjustiz vor Augen. So fand sich selbst im Jahr 1957 kaum jemand in führender Position des Bundesjustizministeriums, der als unbelastet galt. Die meisten Mitarbeiter waren Mitglied in der NSDAP und/oder der SA und etliche von ihnen schon vor 1945 im Reichsjustizministerium tätig.

Am Morgen des 25. März 2024 bildeten rund 35 Eintrachtfans die diesjährige Reisegruppe, die sich auf den Weg nach Nürnberg machte. Auf dem Plan stand eine geführte Tour durch das Memorium Nürnberger Prozesse und am folgenden Tag ein dreistündiger Rundgang über das einstige Reichsparteitagsgelände nahe des Nürnberger Stadions.

Die Abschlussreise der diesjährigen Spurensuche führte nach Nürnberg.

Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher

Unmittelbar nach Ankunft und einem Altstadtbesuch ging es weiter zum Justizpalast, der durch den ersten Nachkriegsprozess gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher internationale Berühmtheit erlangte. Der Justizpalast blieb während des Krieges weitestgehend unversehrt und bot die passende Infrastruktur für einen Prozess dieses Ausmaßes. Dass Nürnberg der Ort der Verabschiedung der Rassengesetze war und zudem die Nazis ihre Reichsparteitage mit Lichtdom und Massenaufmärschen vor Ort abhielten, spielte für die Entscheidung nur eine untergeordnete Rolle. Der Prozess im Schwurgerichtssaal 600 begann am 20. November 1945 und dauerte bis zum 1. Oktober 1946.

12 der ursprünglich 24 Angeklagten wurden zum Tod durch den Strang verurteilt,  sieben zu Gefängnisstrafen, drei feierten einen Freispruch und ein Verfahren musste eingestellt werden. Einer der Angeklagten, Robert Ley, der Organisator der Reichsparteitage, hatte sich vor Prozessbeginn in seiner Zelle erhängt. Martin Bormann wurde in Abwesenheit zum Tod verurteilt, er galt als verschollen. Jahrzehnte später stellte sich heraus, dass er schon zum Zeitpunkt des Prozesses nicht mehr gelebt hatte. Am 16. Oktober 1946 wurden die verbliebenen zehn Delinquenten, darunter der Gründer und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes Der Stürmer ,Julius Streicher,  Außenminister Joachim von Ribbentrop und der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner, gehängt. Einzig Reichsmarschall Hermann Göring entzog sich dem Strick durch Suizid und setzte seinem Leben wenige Stunden vor dem Hinrichtungstermin ein Ende – mittels einer Zyankalikapsel, die auf bis heute ungeklärten Pfaden seine Zelle erreichte. Der letzte einsitzende Gefangene, Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess, starb im Alter von 93 Jahren 1987 in seiner Zelle durch Suizid. Alle Angeklagten hatten zuvor auf „Nicht schuldig im Sinne der Anklage“ plädiert. Außer Kaltenbrunner und Speer hatten die zum Tode Verurteilten Gnadengesuche eingereicht, die jedoch kein Gehör fanden.

Der Schwurgerichtssaal 600 wurde im Rahmen des Besuchs des Memoriums Nürnberger Prozesse auch besichtigt.

Der Nürnberger Prozess war der einzige, der von den vier Alliierten gemeinsam durchgeführt wurde. Zu verschieden waren die Interessen Englands, Frankreichs, der UdSSR und der Vereinigten Staaten, als dass die Siegermächte auf Dauer an einem Strang ziehen konnten. Beklagten England, Frankreich und die USA jeweils ca. 500.000 Todesopfer durch den Krieg, so beweinte die Sowjetunion über 25 Millionen Menschen und eine Schneise der Verwüstung im eigenen Land. Kein Wunder, dass die sowjetischen Richter für jeden der Angeklagten die Todesstrafe gefordert hatten. Entscheidend für das Strafmaß allerdings war eine Drei-Stimmen-Mehrheit der vier Richter. Dem Prozessbeginn ging eine Debatte voraus, die sich um die Art und Weise der Verurteilung drehte, denkbar waren angesichts der Gräueltaten und Schwere der Verbrechen auch Schauprozesse oder die Hinrichtung der führenden NS-Köpfe ohne Urteil. Doch setzte sich letztlich nach zähen Verhandlungen die Idee des Gerichtsverfahrens und der Bestrafung durch den Internationalen Gerichtshof durch. Die angeklagten Täter konnten sich anders als ihre Opfer einem Prozess mit Anhörung und Verteidigung stellen. Angeklagt aber war ein jeder in bis zu vier Punkten:

  1. Verschwörung zum Angriffskrieg.
  2. Verbrechen gegen den Frieden.
  3. Kriegsverbrechen.
  4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Angeklagten mussten sich „nur“ für Verbrechen zwischen 1939 und 1945 verantworten. Und auch nur für Verbrechen außerhalb Deutschlands. Für Verbrechen vor 1939 und innerhalb Deutschlands war der internationale Militärgerichtshof nicht zuständig. Auch der Holocaust wurde erstaunlicher Weise nicht verhandelt, die Singularität des Verbrechens an den Juden zeigte sich auch dadurch, dass Völkermord erst durch die Shoah 1948 zur eigenen Anklagekategorie des Völkerrechts wurde.

In zwei Gruppen wurde wir durch das Memorium geführt, saßen im eigens für den Prozess umgebauten Schwurgerichtssaal 600, der unmittelbar nach der Rückgabe an die Deutsche Justiz ab 1960 wieder zurückgebaut wurde, so dass sich heute kaum Inventar von damals findet. Erst seit 2020 wird der Saal nicht mehr für aktuelle Prozesse genutzt und kann dauerhaft besichtigt werden, ebenso wie die Dauerausstellung im Stockwerk darüber, die Kenntnis der damaligen Zeit vermittelt. Erstmals dienten Filmaufnahmen als Beweismittel, ein Novum war auch die Simultanübersetzung in vier Sprachen. Rund 400 Journalisten konnten den Prozess vor Ort verfolgen, darunter Willy Brandt, Erich Kästner, John Steinbeck, Ernest Hemingway oder Ilja Ehrenburg. Der Prozess geriet zum ersten Massenmedienspektakel, die gleißenden Neonröhren spendeten entsprechendes Licht für die Fernsehkameras, so dass die Angeklagten während der Verhandlung Sonnenbrillen tragen durften.

Im Anschluss an den ersten großen Prozess fanden noch zwölf Nachfolgeprozesse gegen hochrangige Industrielle, aber auch Ärzte und Juristen in Nürnberg statt – allerdings nur vor amerikanischen Tribunalen. Der kalte Krieg hatte bereits begonnen. Und wäre es nach einem Großteil der deutschen Bevölkerung aber auch der Politik gegangen, so wäre die NS-Zeit recht schnell zu den Akten gelegt worden. Als Hauptschuldiger wurde Hitler ausgemacht, der Rest hatte entweder Befehle ausgeführt oder aber von nichts gewusst. Eine Lüge, wie wir heute wissen. Und so ist es Leuten wie Fritz Bauer zu verdanken, dass unter das unfassbarste Verbrechen der Menschheitsgeschichte kein vorzeitiger Schlussstrich gezogen wurde.

Teil 2 des Berichts folgt morgen.

Kontakt

Eintracht Frankfurt Museum
Deutsche Bank Park/Haupttribüne
Telefon: 069 95503275
E-Mail: museum@eintrachtfrankfurt.de