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19.12.2012
Traditionsmannschaft

Mit Zinedine Zidane gespielt: Norbert Nachtweih erinnert sich an Flucht in Westen

15. Fußball-Oldieturnier um OTZ-Pokal: Frankfurter Traditionskicker am 11. Januar zum ersten Mal in der Geraer Panndorfhalle am Ball

Mit Eintracht Frankfurt läuft zum 15. Fußball-Oldieturnier am 11. Januar in der Geraer Panndorfhalle die elfte Traditionsmannschaft aus der Bundesliga auf. Nach Dirk Schlegel von Hertha BSC zur sechsten Auflage 2004 wird sich in vier Wochen der zweite ehemalige DDR-Fußballer präsentieren, der sich in den Westen absetzen konnte. "Norbert Nachtweih galt als einer der begnadetsten Fußballer unseres Landes", erinnert sich Klaus Petersdorf (75), ehemaliger Generalsekretär des Fußball-Verbandes der DDR.

Nicht vergessen hat der Berliner freilich auch die Flucht zweier U21-Nationalspieler 1976 in die Bundesrepublik. Ohne Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl musste der damalige Mannschaftsleiter nach dem U21-EM-Vorrundenspiel in Bursa den Heimflug von Istanbul nach Schönefeld antreten. In der Heimat konnte sich Klaus Petersdorf vor den zuständigen Sicherheitsorganen nur damit rechtfertigen, dass es für dieses Vorkommnis keinerlei Anzeichen gegeben habe.

Das konnte Norbert Nachtweih beim OTZ-Besuch in Liederbach, vor den Toren Frankfurts gelegen, nur bestätigen. "Es war nicht geplant", sagt Norbert Nachtweih. "Wir haben uns in Istanbul, wo wir zwei Stunden Zeit hatten, mit jemandem getroffen, den wir am Abend nach dem Spiel in Bursa kennengelernt hatten. So ist es dann passiert." Die Hallenser hatten schon an der Sportschule oft darüber gerätselt, wie es denn wäre, wenn sie in der Bundesliga spielen würden. Ist der Unterschied so groß, wie es im Fernsehen aussah? Sie überwanden sich und ließen sich in die amerikanische Botschaft bringen. "Wir waren noch zehn Tage dort, mussten um politisches Asyl in der Türkei bitten. Verhöre, alles, was dazu gehört. Die wollten viel wissen. Dann sind wir nach Deutschland ausgeflogen", hat Norbert Nachtweih auch nach 36 Jahren nichts vergessen. Drei Tage München, Verfassungsschutz, Notaufnahmelager Gießen, nach einer Woche waren Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl bei der Frankfurter Eintracht. Dafür sorgte Wolfgang Mischnick. Der Vorsitzende des Verwaltungsrates hatte als FDP-Politiker von der Flucht der beiden DDR-Spieler erfahren. Natürlich haben die beiden Hallenser bei ihrer Flucht Angst gehabt. "Allein hätte ich das nie gemacht, weil der Angstfaktor natürlich eine große Rolle spielt. Zu zweit ist es immer ein bisschen einfacher", erzählt Nachtweih.

Freilich habe er dabei an zu Hause gedacht, dass seine Eltern große Schwierigkeiten bekommen könnten. Sie seien zwar immer wieder von der Staatssicherheit und Polizei vorgeladen, aber im Großen und Ganzen seien sie in Ruhe gelassen worden. "Und wir haben bei Interviews immer versucht, unseren Standpunkt zu vertreten, dass wir nur wegen der sportlichen Karriere hier sind. Wir haben nicht politisiert, wir haben die DDR nicht in den Dreck gezogen, wir haben den Fußball nicht in den Dreck gezogen. Andere haben es anders gemacht", betont Norbert Nachtweih.

Gemeint ist Lutz Eigendorf. Er sei zwei oder drei Jahre später gekommen. "Wir haben ihn auch besucht und er war bei mir zu Hause. Für ihn war es schlimm, denn er hatte Frau und Kind zurückgelassen. Außerdem war er ja beim BFC Dynamo, dem Mielke-Verein. Lutz hat sich ungeschickt verhalten, hat sich Illustrierten verkauft und viel ausgeplaudert. Das hat ihm die Stasi nicht verziehen. Aber das ist kein Grund, jemanden umzubringen. Ich bin der Meinung, dass er zu 99 Prozent umgebracht worden ist", ist sich Nachtweih sicher.

Die Loyalität zur früheren Heimat sollte sich auszahlen. Lediglich bei den anmeldepflichtigen Telefonaten ins elterliche Polleben (bei Eisleben) habe er den Mithörern der Firma "Horch und Guck" Grüße an Erich ausrichten lassen. Aber die Tschekisten hatten sich ihren Humor bewahrt. Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl konnten sich in Frankfurt am Main ungestört ihren Traum vom Profifußball erfüllen. Wegen der knapp 16 Monate langen Sperre trainierten sie bei der ersten Mannschaft und spielten bei den Amateuren.

1978 avancierten beide schnell zu Stammspielern der Bundesliga-Elf. Auch beim Uefa-Pokalsieg 1980 und beim DFB-Pokalsieg ein Jahr später waren Pahl und Nachtweih mit von der Partie. 1982 wechselte Nachtweih zum FC Bayern München. "Ich war aber nicht der Wandervogel. Aber der Verein hatte Liquiditätsprobleme und konnte die Ablösesumme (1,75 Millionen DM) gut gebrauchen. Also hab ich mich entschlossen, nach München zu gehen. Das war der beste Schritt, den ich machen konnte." Anfangs sei noch Paul Breitner da gewesen, Karl-Heinz Rummenigge habe auch noch zwei Jahre gespielt. Als sie weg gingen, kamen Lothar Matthäus, Andreas Brehme, Klaus Augenthaler, Jean-Marie Pfaff und Hansi Pflügler, der noch den Sprung ins Nationalteam geschafft hat.

Das blieb Norbert Nachtweih verwehrt. Die Fifa-Regeln erlaubten keinen Wechsel der Nationen "Für mich wars schade, weil ich 1989 nach Frankreich gewechselt bin. Nach dem Mauerfall hätte ich in der Nationalmannschaft spielen dürfen." Für die WM 1990 in Italien habe er sich Chancen ausgerechnet. Denn Teamchef Franz Beckenbauer war vom Münchner Libero sehr angetan. Doch da spielte Nachtweih schon an der Seite von Zinedine Zidane beim AS Cannes. Dafür rückte Klaus Augenthaler, mit dem er sieben Jahre das Zimmer teilte und den er als Libero verdrängte hatte, in die DFB-Elf und wurde Weltmeister. Doch der vergebenen Chance trauerte Norbert Nachtweih nicht lange nach.

(Quelle: Bernd Scheffel - OTZ, 15.12.2012)