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07.12.2015
Traditionsmannschaft

„Man bekommt die Gefühle ungefiltert ab“

Sascha Amstätter ist ein echtes Kind der Region. Der Frankfurter Bub hat von der Jugend bis zum Karriereende bei allen großen hessischen Vereinen im Rhein-Main-Gebiet Station gemacht.

So auch bei der Eintracht und dem heutigen Gegner aus Darmstadt. In diesem Sommer hat der 38-Jährige auch in unserer Traditionsmannschaft debütiert. Im Interview spricht er über seine Karriere, den Wert von Tradition und das anstehende Bundesliga-Derby.

Sascha, deine Etappe als Spieler von Eintracht Frankfurt fällt in eine äußerst emotionale Phase der Vereinsgeschichte: Den ersten Wiederaufstieg 1998 und das „Wunder vom Main“ 1999 hast du hautnah erlebt. Gleichzeitig hattest du es als Spieler nicht leicht. Welche Gefühle hast du beim Rückblick auf diese Zeit?

Als gebürtiger Frankfurter war es natürlich ein Traum im Waldstadion spielen zu dürfen. Ich kann mich noch an mein Debüt erinnern, in der 2. Liga gegen Fortuna Düsseldorf. Wir haben 1:2 zurückgelegen und konnten das Spiel noch 3:2 gewinnen. Ich wurde eingewechselt. Es war großartig, in so einer tollen Mannschaft dabei gewesen zu sein, auch wenn ich nicht viel gespielt habe.

Was waren deine Höhepunkte bei der Eintracht?

Den Aufstieg zu erleben, am Römer zu stehen, sich ins goldene Buch einzutragen… das sind schon Highlights, die ich in jungen Jahren mitnehmen durfte. Und der sensationelle Nichtabstieg ein Jahr später mit dem 5:1 gegen Lautern. Das aus der Nähe live miterleben zu dürfen, war eine tolle Sache. Als Einstieg ins Profileben waren es für mich zwei wundervolle Jahre und ich erinnere mich immer sehr gerne daran.

Du kamst als Frankfurter Bub vom FSV zur Eintracht. Wie ist das gelaufen?

Der Kontakt kam im Winter 1996/97 zustande. Eine ganz lustige Geschichte war, dass ich von den ersten Gesprächen bis zum Debüt drei verschiedene Eintracht-Präsidenten erlebt habe. Mit dem ersten habe ich verhandelt, beim zweiten habe ich unterschrieben und beim dritten debütiert.

Das steht sinnbildlich für die turbulente Zeit bei der Eintracht damals. Auch der Trainer bei deinem Antritt war nicht mehr der, der dich geholt hatte…

Steppi hatte mich geholt und als ich zur Eintracht gekommen bin, war Horst Ehrmanntraut Trainer. Er kannte mich zwar nicht besonders, aber letztendlich war es okay. Ich habe mich in der Vorbereitung ganz gut präsentiert und bin gleich im ersten Spiel eingesetzt worden. Natürlich war die Mannschaft sehr stark und ich noch sehr jung, von daher bin ich nicht zu vielen Einsätzen gekommen. Trotzdem war es eine super Erfahrung.

Nach dem Aufstieg 1998 kam es zu einer kuriosen Situation: Horst Ehrmanntraut hatte dich aus dem Kader für das Sommer-Trainingslager gestrichen, du hast deine Teilnahme aber auf dem Rechtsweg durchgesetzt. Was war da los?

Ich war noch sehr jung, wollte spielen, war vielleicht auch etwas rebellisch. Und ich war einfach nicht gut beraten. Wenn ich heute einen jungen Spieler sehen würde, der diesen Weg geht, würde ich ihn zur Seite nehmen und ihm davon abraten. Entscheidend ist aber, dass wir trotzdem gemeinsam die Kurve bekommen haben. Nach der Winterpause war es Schnee von gestern.

Als Horst Ehrmanntraut seinen berühmten Gartenstuhl räumen musste, hast du unter Reinhold Fanz doch noch Erstligaluft schnuppern können. Wie hast du das erlebt?

Am ersten Spieltag nach der Winterpause sind wir in München bei 1860 angetreten. Ganz München war verschneit, der Rasen war allerdings perfekt. Wir haben mit einer jungen Mannschaft gespielt und 1:4 verloren. Zur Halbzeit lagen wir bereits 0:4 hinten. Zwei oder drei der Gegentore waren Standards, wenn ich mich richtig erinnere. An diesem Tag hat einfach Qualität und das notwenige Glück gefehlt.

Das gilt auch für die unmittelbar folgenden Spiele. Am Ende habt ihr in letzter Sekunde noch die Kurve bekommen…

Glücklicherweise hatten wir am letzten Spieltag unser Happy End gegen Lautern. Wir haben die entscheidenden Spiele mit einem sehr guten Teamspirit gewonnen. Leute wie Ralf Weber, Alex Schur oder Olaf Janßen haben auf und außerhalb des Platzes den Karren in die richtige Richtung gezogen.

Wie war es für dich, das von außen zu begleiten?

Jörg Berger hat im Abstiegskampf auf Erfahrung gesetzt und lag damit auch definitiv richtig, wie man am Erfolg sehen kann. Wir jungen Spieler haben mittrainiert und alles gegeben, um die Mannschaft für die schwierigen Aufgaben gut vorzubereiten. Mit einem Einsatz konnten wir aber nicht rechnen.

Nachdem du die Eintracht verlassen hast, folgte deine fußballerische Glanzzeit beim SV Wehen, wo du Leistungsträger und Kapitän warst, bevor es dich 2010 nach Darmstadt zog. Den fast schon märchenhaften Marsch der Lilien von der Regionalliga Süd bis in die Bundesliga hast du mit eingeleitet.

Es ist natürlich toll, wenn man seinen Teil dazu beitragen kann, dass die Geschichte ihren positiven Lauf nimmt. Nach zehn Jahren in Wehen bin ich zu Darmstadt gewechselt, zu einem Fast-Absteiger. Wir haben es unter Kosta Runjaic sensationell geschafft, am Saisonende durch eine Serie von zehn Siegen am Stück als Regionalligameister aufzusteigen. So wie beim Eintracht-Aufstieg 1998 gegen Mainz haben die Emotionen freien Lauf gehabt. Erwachsene Männer weinten mit ihren Kindern an der Hand und bedankten sich dafür, das miterleben zu dürfen.

Wie lässt sich das Darmstadt-Phänomen erklären?

Bei Darmstadt ist alles noch etwas familiärer, weil der Verein nicht ganz so groß ist. Aber die Emotionen, die kann man als Spieler total mitfühlen. Schon das Präsidium lebt vor, dass es etwas ganz Besonderes ist eine Lilie zu sein, genauso wie in Frankfurt einen Adler auf der Brust zu tragen. Der Zusammenhalt macht Darmstadt aus, das wird man auch heute sehen. Die Spieler, die dort spielen, haben nirgendwo vorher etwas Vergleichbares gespürt. So kommt man öfter an die 100% ran.

Zuletzt schien es, als sei bei Darmstadt ein wenig die Luft raus. Reicht das Fighter-Herz, um sich auf Dauer in der Bundesliga zu behaupten?

Ich hoffe es. Natürlich denken jetzt viele an die Paderborner im letzten Jahr, die ja auch sehr stark gestartet waren und dann doch abgestiegen sind. Ich bin mir aber sicher, dass Darmstadt die nötigen Punkte holen wird.

Der Saisonverlauf der Eintracht war ähnlich. Woran liegt das aus deiner Sicht?

Das ist nicht ganz so einfach zu beurteilen. Ich denke, dass so Spiele wie gegen Leverkusen nicht der Maßstab sind. Die spielen Champions League und gegen die kann man schon mal verlieren. Die Art und Weise ist halt bedenklich. Eintracht und Darmstadt müssen das heutige Spiel nutzen, um einen Dreier einzufahren.

Zu wem hältst du heute?

Als jemand, der seine ganze Karriere im Rhein-Main-Gebiet verbracht hat und für beide Mannschaften gespielt hat, wünsche ich im Prinzip auch beiden den Sieg. Da das nicht geht, hoffe ich auf ein schönes Spiel mit einem Unentschieden.

Wie geht es aus?

Die 2 war bei der Eintracht meine Rückennummer und die 22 bei Darmstadt, insofern passt ein 2:2 ganz gut.

Sprechen wir zum Abschluss über die Traditionsmannschaft, für die du in diesem Jahr debütiert hast. Wie ist das gekommen?

Bis zu diesem Sommer habe ich noch aktiv in Wiesbaden gespielt. Jetzt bin ich dort nur noch als Co-Trainer tätig. Von daher hat sich nun die Möglichkeit ergeben. Der Kontakt kam über Alex Schur und Clemens Appel zustande. Die haben gefragt ob ich Zeit hätte mitzumachen und das hat dann gut funktioniert. Noch ein bisschen Fußball zu spielen, in einer super Atmosphäre mit tollen Spielern, die einen gepflegten Ball spielen können – das macht mir großen Spaß. Dadurch, dass ich noch vor wenigen Monaten aktiv war, kann ich auch noch ganz gut laufen (lacht).

Was bedeutet dir Tradition?

Tradition ist eine verwurzelte Sache. Es ist etwas ganz besonderes, als Spieler in einem Traditionsverein zu spielen. Im Erfolg und Misserfolg bekommt man die Gefühle ungefiltert ab. Ich denke, in einem Traditionsverein ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass man immer wieder an seine Leistungsgrenze geht, weil man einfach eine größere Verantwortung gegenüber dem Umfeld, der Stadt und der Historie des Vereins spürt. Das Hauptinteresse der Leute ist auf diese Vereine gerichtet. Als Eintracht- oder Lilienspieler kann man nicht einfach in der Stadt in Ruhe frühstücken, wenn man die Wochen davor Käse gespielt hat. Auch die Fankultur ist fest verwurzelt. Bei jüngeren Vereinen muss sich das erst noch entwickeln.

Danke für das Gespräch!