zaehlpixelzaehlpixel
02.10.2020
Museum

Heimliches Spiel in Altenburg

Der Historiker Dr. René Wiese erklärt, warum die Eintracht eine hohe symbolische Bedeutung in der deutsch-deutschen Fußballgeschichte genießt und Norbert Nachtweihs Republikflucht nur eine Randnotiz war.

Herr Wiese, ehe wir konkret zur Eintracht kommen: Im „Kalten Krieg“ war der Sport für beide Lager ein Propagandamittel. Was bezweckten die Machthaber damit?
Die DDR vertrat offen eine Instrumentalisierung des Sports zu politischen Zwecken. Wie der damalige FDJ-Vorsitzende und SED-Zentralkomitees-Mitglied Erich Honecker bereits nach 1945 formulierte, war der Sport nicht „Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck“. Bereits in ihrer Gründungszeit hatte die um nationale Anerkennung ringende DDR erkannt, dass mit einem erfolgreichen Spitzensport im wahrsten Sinne des Wortes „Staat zu machen“ war.

Welche Rolle spielte der Fußball dabei?
Die SED dachte dem massenwirksamen Fußball eine besondere Rolle zu. Bei deutsch-deutschen Fußballspielen, insbesondere in den 1950er Jahren, wurden politische Parolen zu einem ständigen Begleiter der Wettkämpfe. Dieser Ansatz kollidierte mit der Sportauffassung der Bundesrepublik, die sich aufgrund der Instrumentalisierung des Sports in der Zeit des Nationalsozialismus dem Leitbild des „unpolitischen Sports“ verschrieben hatte und jegliche Politisierung des Sports vehement ablehnte. Trotz dieser Abgrenzung zur DDR war der Sport in der Bundesrepublik keineswegs unpolitisch. So folgte der Deutsche Sportbund DSB, ebenso wie der DFB, der außenpolitischen Linie des nationalen Alleinvertretungsanspruchs, den die Bundesregierung gegenüber der DDR reklamierte.

Gab es nach 1945 Bestrebungen, eine gesamtdeutsche Fußball-Meisterschaft auszuspielen?
Ab 1947 forcierte der DFA, der Deutsche Fußball-Ausschuss und Vorläufer des DFB, interzonale Gespräche zur Austragung um die Deutsche Meisterschaft. Verhandlungsschwierigkeiten gab es hierbei insbesondere mit den Vertretern der Sowjetischen Besatzungszone. Die Funktionäre des ostzonalen Deutschen Sport-Ausschusses traten hierbei mit hohen politischen Forderungen auf, die ihnen die SED mitgegeben hatte. Die SED hatte erkannt, dass die Austragung einer Deutschen Meisterschaftsendrunde hervorragende propagandistische Potenziale für die Deutschlandpolitik der SED bot, die es zu nutzen galt. Doch kam es in Regelmäßigkeit bis 1950 aufgrund der sportpolitischen Differenzen schnell zum Scheitern jeglicher Verhandlungen zwischen Ost und West, sodass die Austragung einer Deutschen Meisterschaft nur von den Vertretern der Westzonen bestritten wurde. Allein der Ostberliner Vertreter, Union Oberschöneweide, ein Vorläufer des heutigen 1. FC Union Berlin, der als Vertreter einer Gesamt-Berliner Stadtliga 1948 ins Rennen um die Deutsche Meisterschaft geschickt wurde, blieb der einzige ostdeutsche Vertreter vor der Gründung beider deutscher Staaten. Bis heute ein Kuriosum im Ost-West-Konflikt.

Eintracht wird 1951 nach Erfurt gelockt

Es gab Zeiten, in denen innerdeutsche Begegnungen gefördert wurden, zu anderen Zeiten wurden sie streng verboten. Wieso?
Der DFB und die Vereine der Bundesrepublik standen dem deutsch-deutschen Sportverkehr aus humanitären und sportlichen Gründen, das Fußballspielen als Ort der Begegnung und des sportlichen Austausches anzuerkennen, offen gegenüber. Störend wurde allerdings die politische Indienstnahme der DDR-Vereine empfunden. Auf Dauer wollte sich der Westen dieses Politisierungsgebahren nicht gefallen lassen. Nach ersten Warnungen im Jahr 1951, die von der DDR-Seite ignoriert wurden, wurde im Herbst 1952 der gesamte deutsch-deutsche Sportverkehr von Seiten der Bundesrepublik aufgekündigt. Der DSB und der DFB forderten mit Vehemenz auf die Einhaltung der Abbruch-Beschlüsse. Erst als die DDR einlenkte und versprach, auf den „politischen Missbrauch“ des Spielverkehrs zu verzichten, kam der Freundschaftsspielverkehr 1953 wieder in Gang. Allerdings nur zögernd, da der Volksaufstand des 17. Juni 1953 und der Umgang der DDR mit den Demonstrierenden, enorm abschreckte. Erst Mitte der 1950er Jahre kam der freundschaftliche Sportverkehr zwischen DDR-Mannschaften und westdeutschen Vereinen zu einer Regelmäßigkeit, sodass an den Feiertagen zu Ostern, Pfingsten oder Weihnachten deutsche-deutsche Begegnungen in Ost und West ausgetragen wurden.

Die Eintracht reiste 1951 nach Dresden, um ein Spiel gegen Turbine Erfurt auszutragen. Gibt es Informationen über das Zustandekommen dieser Reise?
Die DDR organisierte im Sommer 1951 die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ost-Berlin, quasi eine Propagandaschau der internationalen kommunistischen Jugend. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten sollten DDR-weit auch Fußballspiele mit namhaften Gegnern ausgetragen werden. Das Budget zur Ausrichtung dieser Veranstaltungen war für damalige Verhältnisse sehr hoch. Die angeworbenen Vereine konnten mit freier Anreise, Kost und Logis geködert werden, was für einen Oberligisten, der eine Vertragsligamannschaft unterhielt, äußerst attraktiv war. Zumal der sportliche Gegner für die Eintracht der damalige DDR-Vizemeister Turbine Erfurt hieß, also ein Gegner auf Augenhöhe – und das eine Woche vor Saisonstart. Die Eintracht reiste nach Dresden, spielte im mit politischen Losungen geschmückten Heinz-Steyer-Stadion, gewann sportlich 3:1, hatte jedoch als Nachgeschmack eine typische DDR-Presseberichterstattung im Kontext der Weltfestspiele über sich ergehen zu lassen.

Mit dem Bau der Mauer wurden die Sportbeziehungen zwischen den beiden Staaten abgebrochen. Kam es auf Vereinsseite trotzdem zu Begegnungen?
Der DSB reagierte auf die Grenzabriegelung mit dem sofortigen Boykott des Spielverkehrs. Es gab zwar in Einzelfällen Begegnungen zwischen Ost und West, doch war dies marginal. Erst mit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages 1972 entspannte sich das Verhältnis beider deutscher Staaten. 1974 unterzeichneten der ostdeutsche DTSB und der DSB das so genannte Sportprotokoll. Hierin wurde festgeschrieben, dass der Sportverkehr künftig ein Jahr im Voraus in „Sportkalendern“ festzuschreiben sei. Doch kam es hierbei nur zu wenigen Begegnungen, da die DDR nur zwischen zehn bis 20 Fußball-Spiele pro Jahr zuließ. Die Masse der Begegnungen aus den 1950er Jahren wurde nie wieder erreicht.

DDR-Presse über Nachtweih: „Verräterisches Verhalten“

Immer wieder kam es zu Fluchten von Sportstars aus der DDR. Wir gingen die Machthaber damit um?
Die „Republikflucht“, so die offizielle Bezeichnung der DDR, war eine ernsthafte Schwachstelle für den DDR-Fußball. In den 1950er Jahren gab es einen enormen Magnetismus nach dem Westen, da die Oberligen und später die Bundesliga mit großen sportlichen und finanziellen Perspektiven lockten. Von Anfang an wurden die flüchtenden Sportler und Fußballer von der DDR mit dem politischen Kampfbegriff des „Verrats“ belegt. Während in den 1950er Jahren derart öffentlich angeprangert wurden, ging die DDR-Publizistik in den 1970er und 1980er Jahren dazu über, die Republikfluchten totzuschweigen. Die Flucht des zur Eintracht gewechselten Hallenser Jugend-Nationalspielers Norbert Nachtweih wurde beispielsweise in der DDR-Presse 1976 nur mit einer kleinen Notiz bedacht, wonach Nachtweih seine Mannschaft „im Stich gelassen“ habe und seine Hallenser Mannschaftskameraden das „verräterische Verhalten“ verurteilten.

In Ihren Vorträgen berichten Sie über ein illegales Freundschaftsspiel 1981 zwischen einer Frankfurter Thekenmannschaft und der BSG Wismut Altenberg. Können Sie darüber berichten?
Zu den Spielen im europäischen Pokalwettbewerb der Eintracht in Rumänien und der CSSR in den Jahren 1979/80 reisten auch viele Eintracht-Fans aus der DDR. Bei diesen Treffen lernten sich ein DDR-Fan aus Altenburg bei Leipzig und ein Eintrachtler aus Frankfurt kennen, die im emotionalen Überschwang der deutsch-deutschen Fanbegegnung einen kühnen Plan umsetzen wollten. Der Altenburger sprach eine Einladung zum Fußballspiel in Altenburg aus. Gespielt werden sollte ein Match zwischen einer Frankfurter Thekenmannschaft und den Alten Herren der BSG Wismut Altenburg, quasi ein Freizeitteam. Allerdings oblag die Organisation eines solchen „deutsch-deutschen Spielverkehrs“ den obersten Sportbehörden. Das Vorhaben war demnach illegal. Doch davon ließen sich die Protagonisten nicht abhalten. Unter Verwendung einer Legende reisten die Frankfurter nach Altenburg und trugen 1981 als „Atletico Gulf 1971“ heimlich ihr Fußballspiel gegen die Altenburger aus. Obwohl das Spiel unbehelligt stattfinden konnte, gab es ein Nachspiel. Die Staatssicherheit musste nach Bekanntwerden Untersuchungen einleiten, deren Berichte bis in die oberste Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu Erich Mielke persönlich gelangten. Die Altenburger Organisatoren wurden später mit disziplinarischen Strafen belegt und sollten sich öffentlich von ihrem Verhalten distanzieren.

Fraternisierung zwischen Ost- und Westfangruppen

Fußballfans in der DDR hatten in der Regel auch einen bundesdeutschen Lieblingsverein. Bei internationalen Spielen im Osten reisten sie ihrer Mannschaft hinterher. Diese Reisen wurden von der Stasi beobachtet. Was weiß man darüber?
In der Tat war es so, dass die meisten DDR-Fußballfans neben ihrem Lieblingsteam in der DDR-Oberliga auch einen Herzensverein in der Bundesliga besaßen. Wie bei der Eintracht geschildert, reisten viele DDR-Fans zu Spielen in den Ostblock, um den Bundesligastars nahe zu sein. Vor Ort kam es häufig zu Fraternisierungen mit westdeutschen Fangruppen, was von den DDR-Oberen nicht gern gesehen wurde. 1971, als die bundesdeutsche Nationalelf in Warschau gegen Polen spielte und von mehreren Tausend DDR-Fans im Stadion lautstark unterstützt wurde, war die Zuneigung der DDR-Bürger anhand von Transparenten und Sprechchören im Stadion auch für die Stasi nicht mehr zu übersehen. Ein solches Verhalten entsprach nicht den Vorstellungen der SED von einer sozialistischen Staatsjugend. Von da an setzte eine gezielte Bearbeitung der Fangruppen durch das MfS ein, das versuchte, die Reisen dieser Fans und die Kontaktnahme zu Fans und Bundesligaspielern zu unterbinden. Und dies tat das MfS mit allen bekannten geheimdienstlichen Mitteln. Fangruppen wurden beispielsweise mittels Spitzelsystemen ausgespäht und versucht, sie unter Kontrolle zu bringen.

Welche Rolle spielte Eintracht Frankfurt in den deutsch-deutschen Sportbeziehungen?
Die Eintracht ist in der deutsch-deutschen Fußballgeschichte zwar durch ihre Spiele mit DDR-Mannschaften in den 1950er Jahren präsent, doch ist die Eintracht ein klassisches Beispiel dafür, wie die DDR gerade mit jenen Vereinen umging, die einen „Republikflüchtling“ in ihren Reihen hatte. Für die Eintracht brachten mit Jürgen Pahl, Norbert Nachtweih und Jörg Berger gleich mehrere Flüchtlinge ihre sportliche Expertise ein, was den DDR-Funktionären ein Dorn im Auge war. Trotz mehrfacher Bemühungen der Eintracht-Führung, an Sportkalenderspielen mit der DDR teilzunehmen, wurde das Ansinnen von den DDR-Sportpolitikern in den Verhandlungsrunden zwischen dem DSB und dem DTSB in Regelmäßigkeit abgeblockt. Das Signal war damit eindeutig. Solange die Eintracht DDR-Flüchtlinge in ihren Reihen hat, wird es keine Spiele mit DDR-Teams geben. Somit trägt die Eintracht als ein Auffangbecken für geflüchtete DDR-Fußballer eine hohe symbolische Bedeutung in der deutsch-deutschen Fußballgeschichte.

Dr. René Wiese studierte Geschichte, Sport und Erziehungswissenschaften an der FU Berlin, 2012 promovierte er zur Geschichte der Kinder- und Jugendsportschulen der DDR. Wiese arbeitet für das Zentrum Deutsche Sportgeschichte in Berlin, das die Multimedia-Ausstellung „ZOV Sportverräter – Spitzenathleten auf der Flucht“ konzipiert hat. Die Ausstellung war 2015 im Eintracht Frankfurt Museum zu sehen. Für eintracht.de spricht Wiese über die deutsch-deutschen Begegnungen.