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19.06.2024
Museum

EM-Fachwissen: England

In den kommenden Tagen bietet das Museum Fachwissen zu allen Nationen, die im Rahmen der EM in Frankfurt spielen. Ulrich Matheja blickt auf die jeweilige Fußballgeschichte und zieht Verbindungen zu unserer SGE.

In den kommenden Tagen bietet das Museum Fachwissen zu allen Nationen, die im Rahmen der EM in Frankfurt spielen.

Diesmal schauen wir auf den Mitfavoriten England, der am Donnerstag, 20.06., das zweite EM-Spiel in Frankfurt gegen Dänemark austragen wird. Die englische Nationalmannschaft wird bei diesem Spiel zum dritten Mal im Waldstadion spielen. Zuvor gab es bei der EM 1988 ein 1:3 gegen die UdSSR und bei der WM 2006 ein 1:0 gegen Paraguay.

Der englische Historiker James Walvin schrieb 1975, die Geschichte des frühen englischen Fußballs könne am besten anhand der Versuche, ihn zu unterdrücken, geschrieben werden. Vier Jahre später führten die Soziologen Eric Dunning und Kenneth Sheard für den Zeitraum 1314-1667 insgesamt 31 königliche und lokale Verbote für England und Schottland auf. Anders als in Florenz, wo „Calcio“ während der Renaissance ein anerkannter Zuschauersport war, galt das Spiel in England als gemein, roh, brutal und somit nicht gesellschaftsfähig. So findet man sogar in Shakespeares „King Lear“ (1608) den Begriff „niederträchtiger Fußballspieler“. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts arteten wilde Fußballspiele, die in London schon für das späte 12. Jahrhundert nachgewiesen sind, nicht selten in Schlägereien und Landfriedensbruch aus. Dennoch fand der Fußball seinen Weg an Universitäten und Schulen. In Eton ist er ab 1747 nachgewiesen und in den 1750er Jahren wurde an den meisten Public Schools Fußball gespielt.

Der englische Fußballverband und der älteste Club der Welt

Da unterschiedliche Regeln den Spielverkehr der Bildungsanstalten untereinander erschwerten, wurde das Regelwerk zwischen 1838 und 1863 in den sog. „Cambridge Rules“ vereinheitlicht, was am 26. Oktober 1863 in London zur Gründung der Football Association (FA) führte, die aber erst 1877 als nationaler englischer Fußballverband anerkannt war. Besonders im nordenglischen Sheffield war der Widerstand gegen den Führungsanspruch des Südens groß. Der 1857 gegründete Sheffield FC gilt heute als der älteste noch bestehende Fußballverein der Welt. Ab 1871/72 wurde um den „FA Cup“ gespielt, der lange Zeit von „Old Boys“-Teams aus dem Süden wie den Wanderers, Oxford University, Old Etonians und Old Carthusians dominiert wurde. Das erste Länderspiel bestritt England am 30. November 1872 in Glasgow gegen Schottland (0:0).

Professionalismus vs. Amateursport

Mit dem Pokalsieg von Blackburn Olympic 1883 nahmen die Spannungen zwischen „North and South“ wieder zu. 1854/55 hatte Elizabeth Gaskell unter diesem Titel einen Roman veröffentlicht, der die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im industriellen Manchester thematisierte. Denn Blackburn Olympic war nicht nur der erste Pokalsieger aus dem Norden, sondern kam auch aus dem Arbeitermilieu. Da Klubs aus Lancashire schon seit 1876 unter Verdacht standen, Spielern Geld zu zahlen, witterte man im Süden versteckten Professionalismus und einen Verstoß gegen die Satzungen der FA. Mit der Legalisierung von Zuwendungen an die Spieler wurde die geografische Trennlinie Nord-Süd 1885 auch zu einer zwischen Professionalismus und Amateurideal und führte 1888 zur Gründung der professionellen „Football League“ mit zwölf Klubs aus Nordengland und den Midlands. Der Anspruch der moralischen Überlegenheit eines Amateurs war dadurch aber nicht beendet.

Als 1886 der erste Profispieler für ein englisches Länderspiel berufen wurde, stimmte Gegner Schottland nur zu, wenn dieser in einem andersfarbigen Hemd auflaufen würde, um so im wahrsten Sinne des Wortes das „Schwarze Schaf“ von den „weißen Westen“ der Amateure unterscheiden zu können. Noch 1900 verteidigte der FA-Funktionär N. L. Jackson diese Einstellung: „Bedienstete speisten nicht mit ihren Herren im Speisezimmer, noch gingen sie durch die Vordertür ein und aus, und Profifußballer waren bezahlte Bedienstete.“

Von 1893/94 bis zur Abschaffung des Amateurbegriffs 1974 wurde der „FA Amateur Cup“ ausgespielt. Außerdem gab es ab 1906 eine englische Amateur-Nationalmannschaft, die bis 1913 auch viermal gegen Deutschland antrat. Während der DFB diese Spiele in der Länderspielstatistik berücksichtigt, beginnt die FA ihre Zählung erst mit dem erstmaligen Auftreten der Profi-Mannschaft 1930 in Berlin (3:3). 1908 in London und 1912 in Stockholm wurden die englischen Amateure Olympiasieger. 1900 in Paris hatte der Londoner Amateurklub Upton Park FC Gold gewonnen.

Länderspiele

Obwohl die FA der älteste Fußballverband der Welt ist, war sie nur von 1905 bis 1920, 1924 bis 1928 und wieder ab 1946 Mitglied der FIFA. So fanden die ersten drei WM-Turniere ohne das Mutterland des Fußballs statt. Der Länderspielverkehr, der bis zum Spiel gegen Belgien 1923 (6:1 in London) nur auf die zwischen 1884 bis 1984 ausgespielte „Home Championship“ der vier britischen Verbände fokussiert war, ging aber weiter. 1929 gab es die erste Niederlage gegen ein Team vom Kontinent (3:4 gegen Spanien in Madrid). 1931 revanchierte sich England mit 7:1. Auch gegen andere führende Nationen gelangen prestigeträchtige Erfolge, so 1932 gegen das österreichische „Wunderteam“ (4:3) und 1934 gegen Weltmeister Italien (3:2). Auch gegen Deutschland gab es 1935 (3:0 in London) und 1938 (6:3 in Berlin) Siege.

Nach der FIFA-Rückkehr 1946 schien England zunächst an die guten Resultate der Vorkriegszeit anknüpfen zu können und verlor bis zum Start der WM 1950 in Brasilien nur vier von 28 Länderspielen, musste aber nach einem blamablen 0:1 gegen die USA vorzeitig heimfahren. Noch deprimierender war 1953 das 3:6 in Wembley gegen Ungarn und das 1:7 von Budapest ein Jahr später – bis heute die höchste Niederlage der „Three Lions“. Bis zur Heim-WM 1966 hatte England mit der Titelvergabe nichts zu tun und stand auch den neuen europäischen Wettbewerben skeptisch gegenüber. So verzichtete 1955 Meister Chelsea FC auf Druck der „Football League“ auf die Teilnahme am erstmals ausgespielten Europapokal der Landesmeister und auch der ersten Europameisterschaft 1960 blieb England fern.

Um den englischen WM-Sieg 1966 ranken sich viele Geschichten. Legendär ist das Finale gegen Deutschland (n. V. 4:2) mit dem berühmten „Wembley-Tor“. Es ist aber bis zum heutige Tag auch der einzige Turniererfolg der englischen Nationalmannschaft. Nachdem 1974, 1978 und 1994 sogar die Qualifikation verpasst wurde, gelang nur 1990 und 2018 der Einzug ins Halbfinale. Auch die EM-Bilanz sieht nicht besser aus: Dritter 1968, Halbfinale 1996, Endspielniederlage 2021 in Wembley gegen Italien im Elfmeterschießen. In der UEFA Nations League stieg England jüngst sogar in die B-Gruppe ab.

Hatten nach 1966 eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage des Landes, baufällige Stadien und ein großes Gewaltproblem zum zwischenzeitlichen Niedergang des englischen Fußballs beigetragen, hat vor allem der englische Klubfußball seit Gründung der Premier League 1992 ganz neue Dimensionen erreicht. Obwohl die Heysel-Katastrophe 1985 mit 39 Toten zu einem fünfjährigen Ausschluss englischer Vereine aus dem Europapokal geführt hatte, ist England inzwischen mit 37 Europapokalsiegen das zweiterfolgreichste Land nach Spanien. Heute verzeichnet die „Premier League“ vor allem durch den weltweiten Verkauf von TV-Rechten Milliardeneinkünfte, was allerdings auch zur Entfremdung traditioneller Zuschauerschichten geführt hat, die sich entweder eine Eintrittskarte für ein Spiel nicht mehr leisten können oder denen die Übernahme ihres Klubs durch ausländische Investoren ein Dorn im Auge ist.

Frankfurt und England

Eine Zeichnung zum Spiel gegen Newcastle United 1907.

Die Beziehungen Frankfurts und der Eintracht zum englischen Fußball reichen bis in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurück. Schon 1907 war Meister Newcastle United am Main zu Gast und besiegte eine Frankfurter Stadtauswahl mit 6:2. 1910 gab es im Rahmen der „Internationalen Ausstellung für Spiel und Sport“ auf dem Messegelände ein Propagandaspiel FC Chelsea – Blackburn Rovers (5:3). Nach einem 0:6 vom Eintracht-Vorgänger Frankfurter Fußball-Verein (FFV) gegen Tottenham Hotspur 1911, gelang im Mai 1914 mit 3:1 gegen Bradford City ein spektakulärer Sieg gegen eine englische Profimannschaft. 1956 weihte die Eintracht die Flutlichtanlage am Riederwald mit einem 2:2 gegen eine britische Armeeauswahl ein. Inzwischen wurde 49-mal gegen 19 englische Mannschaften gespielt.

Seit dem DFB-Pokalsieg 2018 hat es auch vier Europapokal-Duelle mit Klubs aus London gegebenen. 2019 gegen Chelsea (Halbfinale Europa League), 2019/20 gegen Arsenal (Gruppenphase Europa League), 2021/22 gegen West Ham (Halbfinale Europa League) und 2022/23 gegen Tottenham (Gruppenphase Champions League). Nur gegen Chelsea schied man 2019 im Elfmeterschießen unglücklich aus.

Peter Hobday (links) spielte 1988-1990 für sie SGE.

Die genaue Zahl englischer Spieler bei der Eintracht lässt sich nicht genau ermitteln. Aus der Frühzeit vor 1911 sind sechs Spieler mit englisch klingenden Namen bei den Vorgängern FFC Victoria und den Frankfurter Kickers bekannt. In der Bundesliga trugen aber nur Peter Hobday (1988-90 25 Pflichtspiele/3 Tore) und Michael Hector (2016/17 27/1) das Adler-Trikot. Außerdem war der 42-malige englische Nationalspieler Tony Woodcock 2001/02 Sportvorstand bei der Eintracht Frankfurt Fußball AG.