zaehlpixelzaehlpixel
14.10.2021
Museum

Eine Reise nach Weimar und Buchenwald – Tag 2

Die zweite Spurensuche des Museums und der Fanbetreuung führt nach Weimar und Buchenwald. Teil zwei handelt vom denkwürdigen Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald.

Nachdem 2019 die erste Spurensuche, initiiert vom Eintracht Museum und der Fanbetreuung unter tätiger Mithilfe des Fritz Bauer Instituts, Fans der Eintracht ins einstige Ghetto Theresienstadt führte, bildete der Abschluss des zweiten Teils eine Fahrt nach Weimar beziehungsweise ins nahe gelegene ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. Die schon länger geplante Reise musste wegen Corona mehrmals verschoben werden. Am Morgen des 8. Oktober ist es endlich soweit. Ein Pkw sowie ein Reisebus setzen sich gegen 11 Uhr am Eintracht Museum in Bewegung, 20 erwartungsvolle Mitfahrende an Bord.

Vor Ort werden sich noch zwei weitere Teilnehmer zur Reisegruppe gesellen. Gute 280 Kilometer Fahrt warten auf die Beteiligten – und das zu erwartende Programm ist eng getaktet. Neben einer Stadtführung durch Weimar direkt nach der Ankunft steht in der Früh des nächsten Morgens der Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers an. Für den Abschluss der Reise sieht die Planung einen Abstecher zur Gedenkstätte am Glockenturm in Buchenwald vor, ehe die Heimreise am Sonntag wieder nach Frankfurt führen wird. Mit an Bord sind neben Matze und Beve vom Museum auch Nadine und Julian von der Fanbetreuung sowie Martin Liepach vom Fritz Bauer Institut und Stefan Minden, Vizepräsident des Vereins, der sich schon jahrelang mit der Shoah und deren Folgen beschäftigt.

Teil 2: Buchenwald

Schwerer Nebel lastet auf den Wegen hoch auf den Ettersberg, die Blutstraße führt die letzten Kilometer durch Herbstwälder hinauf in das ehemalige Konzentrationslager, die heutige Gedenkstätte Buchenwald. Die Reisegruppe hält vor der Information, die in einer der im Halbkreis angeordneten einstigen SS-Kasernen untergebracht ist. Schneidige junge Burschen hofften hier seinerzeit auf eine ordentliche Karriere – und entwickelten sich zu grausamen Sadisten oder aber, was weit häufiger der Fall war, zu bürokratischen Verwaltern des Holocaust mit regelmäßiger und penibel eingehaltener Mittagspause. Kaum vor Ort angekommen, stoßen die beiden Historiker Ronald Hirte und Jan Malecha von der Stiftung Buchenwald dazu, die die Führung inhaltlich begleiten und leiten werden. Auch hier oben liegt ein schwerer Nebel über dem Gelände, der sich im Laufe des Tages jedoch lichten wird, es weht ein ordentlicher Wind. Die Reisegruppe teilt sich auf, die einen werden von Jan über die Gedenkstätte geführt, die anderen schließen sich Ronald an. Buchenwald. Schreckensort. Erbaut wurde das Konzentrationslager 1937 nahe der Stadt Weimar, der Stadt Goethes, Schillers, der Weimarer Klassik. Die Stadt des Bauhaus, der Weimarer Republik, die so viel auf ihre Kulturbeflissenheit hält und dennoch 1926 den zweiten Parteitag der NSDAP begrüßte. Schon 1930 erhielt hier die NSDAP 28,2 Prozent der Stimmen. Doch wurde der Begriff K.L (Konzentrationslager) Ettersberg nicht gerne gehört, da Goethe in lieblicher Verbindung zum Ettersberg stand. Auch der Name Weimars sollte nicht im Vordergrund stehen. Von daher wählten die Nazis den euphemistischen Namen Buchenwald für das Lager. Sie wussten also genau, was sie taten. Unten im Ort hingegen wurden Geschäfte getätigt, die den einen oder anderen Weimarer Kaufmann auch auf den Ettersberg führte.

In Buchenwald kamen rund 56.000 Menschen zu Tode.

227.800 Menschen durchlitten Buchenwald und seine 139 Außenlager, 56.000 Menschen kamen hier zu Tode, wurden ermordet. Darunter auch Emil Stelzer, Eintrachtler und hoch engagiert in der Frankfurter Turngemeinde. In der Frankfurter Finkenhofstraße liegt ein Stolperstein für ihn und seine Frau Else, die in Auschwitz ermordet wurde. Emil Stelzer wurde gleich zwei Mal nach Buchenwald deportiert, zunächst nach den Novemberpogromen 1938, als 10.000 sogenannte Aktionsjuden in Buchenwald inhaftiert wurden. Unter ihnen mit Paul Blüthenthal, Otto Fuld, Ludwig Isenburger, Max und Julius Lehmann, Hans Rosenbaum und Abraham Rozenberg noch weitere Eintrachtler. Diese Inhaftierungen sollten den Druck zur Ausreise erhöhen. Die NS-Herrschaft überlebten Paul Blüthenthal, Ludwig Isenburger, Max Lehmann und Abraham Rozenberg. Hans Rosenbaum wurde 1942 in Lodz ermordet, auch die Spur von Otto Fuld verliert sich dort. Julius Lehmann kam vermutlich in Majdanek ums Leben. Emil Stelzer wurde nach seiner Freilassung im Dezember 1938 im Juni 1943 erneut nach Buchenwald deportiert. Im März 1944 stirbt er. Auch wenn er vermutlich nicht hingerichtet wurde, so haben ihn die furchtbaren Lebensumstände im Lager ermordet. Lebensumstände, die die Nationalsozialisten genau zu diesem Zweck inszenierten.

Als die Zivilisten immer wieder riefen: ‚Wir haben nichts gewusst! Wir haben nichts gewusst!‘, gerieten die Ex-Häftlinge außer sich vor Wut. ‚Ihr habt es gewusst‘, schrien sie. ‚Wir haben neben euch in den Fabriken gearbeitet. Wir haben es euch gesagt und dabei unser Leben riskiert. Aber ihr habt nichts getan.‘

Erinnerungen einer amerikanischen Fotografin

Es waren diese Geschichten der nach Buchenwald deportierten Eintrachtler, die den Ausschlag für die vom Eintracht Frankfurt Museum und der Fanbetreuung initiierten Reise gegeben hatten. Spurensuche vor Ort. Und tatsächlich konnten Jan und Roland weitere, den Anwesenden zunächst nicht bekannte, Dokumente auftreiben, die den Aufenthalt der Frankfurter in Buchenwald belegen. Jetzt stehen alle vor dem markanten Lagertor, erbaut von Häftlingen 1937. Der Weg dorthin wurde Carachoweg genannt. In schlechtem Schuhwerk und abgeschabter Lagerkleidung schleppten sich die Häftlinge, angetrieben von sadistischen Wärtern, Tag für Tag vorbei an der Lagerverwaltung zu den lebensverzehrenden Arbeitseinsätzen zum Wohle der Rüstungsindustrie. Die Ziffern der Turmuhr stehen auf 15 Uhr 15. Am 11. April 1945 wurde das Lager um diese Zeit befreit, für 21.000 Häftlinge hatten die Qualen zunächst ein Ende. Doch etliche von ihnen sind an den Folgeschäden noch nach der Befreiung verstorben. Etwa 1000 Weimarer Bürger wurden von den Amerikanern mit den Leichenbergen konfrontiert. „Wir haben nichts davon gewusst“, so der Tenor. Doch eine amerikanische Fotografin erinnerte sich: „Als die Zivilisten immer wieder riefen: ‚Wir haben nichts gewusst! Wir haben nichts gewusst!‘, gerieten die Ex-Häftlinge außer sich vor Wut. ‚Ihr habt es gewusst‘, schrien sie. ‚Wir haben neben euch in den Fabriken gearbeitet. Wir haben es euch gesagt und dabei unser Leben riskiert. Aber ihr habt nichts getan.‘“

Das Eingangstor des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald.

„Jedem das Seine“ steht in schmiedeeisernen Buchstaben auf dem Eingangstor, durch das die Häftlinge auf dem Weg zu den Arbeitseinsätzen durchmarschieren mussten. Lesbar ist die Schrift von innen. Zwei tägliche und qualvolle Appelle zwecks Zählung fanden auf dem Appellplatz hinter dem Tor statt, eine einzige Tortur. Die Augen auf die Buchstaben gerichtet, verharrten die Gequälten dort Stunde um Stunde, ihr gnadenloses Schicksal in den zynischen Spruch verpackt, dessen Gebrauch heute zurecht geächtet ist. Wer heute durch das Tor schreitet, dessen Blick fällt auf ein weites, nahezu braches Gelände mit nur wenigen Gebäuden. Hinter dem Nebel der Wald. Die einstigen Baracken wurden zu DDR-Zeiten abgerissen, das Gelände verwucherte. Heute sind die Umrisse der Baracken wieder erkennbar, in den ersten Reihen die Holzbaracken, dahinter zwei Reihen der Steinbaracken. Erinnerungskultur hieß damals vorwiegend Verklärung des kommunistischen Widerstands – zur Bestätigung der eigenen politischen, vorgeblich antifaschistischen, Identität. Ein Stein erinnert an die Baracke 38. Dort hauste auch Emil Stelzer.

Die Anwesenden verlieren sich in Informationen, an Exponaten, Bildern und Eindrücken – die Zeit reicht nicht, um alles zu erfassen. Nicht heute. Nicht in alle Ewigkeit.

Auf dem Gelände sind an etlichen Stellen Gedenktafeln eingelassen – in Erinnerung an die verschiedenen Gruppen, die hier leiden mussten, die Juden, die Homosexuellen, die Kommunisten, die Sinti und Roma, die Kinder, die 8000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die in der Genickschussanlage hingerichtet wurden. Wenige Tage nach der Befreiung, am 19. April 1945, trafen sich die Überlebenden, errichteten auf dem Appellplatz zum Gedenken an die Opfer einen hölzernen Obelisken und leisteten den Schwur von Buchenwald: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Von den Tausenden SS-Männern, die in und um Buchenwald tätig waren, wurden rund 90 angeklagt und nur 70 davon verurteilt... Heute befindet sich an dieser Stelle das Denkmal für alle Häftlinge des KZs. Eine in den Boden eingelassene Metallplatte, versehen mit dem Namen aller Nationen und Gruppen, die in Buchenwald inhaftiert wurden und dauerhaft erwärmt auf 37 Grad – der Temperatur menschlichen Lebens. Immer wieder wird dieses Mahnmal noch heute von Nazis geschändet.

Das Krematorium in Buchenwald.

Ein weiterer markanter Ort des Lagers ist das Krematorium. Hier wurde auch Ernst Thälmann, Vorsitzender der KPD am 18. August 1944 erschossen und verbrannt. Wurden die Leichen der Verstorbenen noch bis 1940 im Weimarer Krematorium eingeäschert, so diente anschließend das von der Erfurter Firma Topf & Söhne konzipierte und von den Häftlingen betriebene Krematorium im Lager selbst der Entsorgung der Toten, deren Asche im nahen Wald verstreut wurde – nachdem ihnen im Sezierraum noch die Goldzähne herausgebrochen wurden. Wenige Schritte außerhalb des Lagerzauns in Sichtweite des Krematoriums befand sich der Zoo zur Erbauung der SS und ausgewählter Weimarer Bürger, dessen Hauptattraktion zwei Bären waren. Gefüttert mit rohem Fleisch, während die Häftlinge am Tag einen halben Liter wässriger Suppe bekamen, die Arbeitsunfähigen einen Viertelliter. Die ehemalige Kleiderkammer auf der gegenüberliegenden Seite des Geländes dient heute als Museum und dokumentiert die Geschichte des Lagers von den Anfängen bis zur Befreiung. Die Anwesenden verlieren sich in Informationen, an Exponaten, Bildern und Eindrücken – die Zeit reicht nicht, um alles zu erfassen. Nicht heute. Nicht in alle Ewigkeit.

Auch die Kleidung der Häftlinge dokumentiert die Geschichte des Lagers.

Besonders bedrückend ist das lange Zeit fast vergessene kleine Lager, an das heute eine Gedenkecke erinnert. Hier fanden Neuankömmlinge unter unwürdigsten Zuständen auf allerengstem Raum eine finstere Heimat. Noch kurz vor der Befreiung schnellte die Todesrate nach oben, das Krematorium kam kaum seiner unheilvollen Arbeit nach. Und so wurden die Leichen massenhaft außerhalb des Lagers an der Südseite des Ettersberg in natürlichen Trichtern entsorgt, an deren Stelle heute das Mahnmal mit dem Glockenturm steht. Unweit des kleinen Lagers befand sich auch das Lagerbordell. Die einzigen Frauen, neben des SS-Weibern in Buchenwald, außerhalb der Arbeitslager, waren Zwangsprostituierte, deren Dienste im Belohnungssystem der Nazis einen festen Platz hatten. Sie standen ausgewählten Häftlingen zwecks Steigerung der Arbeitsmotivation zur Verfügung. Einzig einige Kommunisten verweigerten sich der „Belohnung“ und wahrten somit die Würde der Frauen, deren Geschichte bis heute eine der traurigsten und schamvollsten ist und die selbst von einstigen Häftlingen ignoriert wurde.

Weiter hinten im Wald finden sich noch heute Überreste der Habseligkeiten der Häftlinge, Essgeschirr, Näpfe, Becher. Aber auch SS-Porzellan. Während die Buchenwald-Stiftung mit dem Aufbereiten der Funde kaum hinterherkommt und allein schon aus Platzmangel nur die am besten erhaltenen Stücke archiviert, so verrotten die stummen Zeugen der Geschichte und nehmen ihre traurigen Geheimnisse mit. Heute scheinbar wertlos, retteten sie ihren Besitzer im Lager womöglich das Leben. Die SS-Devotionalien hingegen erzielen auf dem Schwarzmarkt Höchstpreise. Immer wieder streunern Trophäenjäger verbotenerweise übers Gelände und machen mit dem Holocaust ihr Geschäft.