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22.02.2017
Traditionsmannschaft

„Die sollen nicht merken, dass mir alles wehtut“

Rudi Bommer erlebte von 1992 bis 1997 seinen zweiten Frühling als Fußballprofi bei Eintracht Frankfurt. Auch seine ersten Schritte als Trainer ging der gebürtige Aschaffenburger am Riederwald. Vergangene Woche traf Bommer mit seinem aktuellen Verein, dem SC Hessen Dreieich, im Testspiel auf die SGE – und ging als Sieger vom Platz. Im Interview spricht er über seine Mannschaft, seine Zeit am Main und Tradition im Fußball.

Rudi, man sagt, alte Liebe rostet nicht. Wie hast du das Aufeinandertreffen mit der Eintracht vergangene Woche erlebt?

Rudi Bommer: Wenn man fünf Jahre für einen Verein gespielt hat, ist es natürlich ein schönes Erlebnis, auf diesen Verein zu treffen. Ich möchte mich zu allererst dafür bedanken, dass das Spiel seitens der Eintracht möglich gemacht wurde. Den SC Hessen Dreieich gibt es erst seit dreieinhalb Jahren und das war für uns ein absolutes Highlight.

Dein Team war über 90 Minuten ebenbürtig, von einem Klassenunterschied war nichts zu spüren. Wie ordnest du die Leistung ein?

Es war eine ordentliche Leistung. Wir wollten nicht einfach ein Spielball für die Eintracht sein, sondern alles auf dem Platz geben, um die Leute, die Niko Kovac wieder heranführen wollte – Russ, Stendera, die jungen und gesperrten Spieler –  auch zu fordern. Ich denke, das war auch in Nikos Sinne. Lange verletzte Spieler brauchen Praxis und müssen in solchen Spielen ans Limit. Das Statement von Stendera war hinterher, dass er platt war. Das ist der Sinn und Zweck eines solchen Spiels, nicht das Ergebnis.

Wie hast du deine Mannschaft nach dem Sieg auf dem Boden gehalten?

Das musste ich gar nicht, am Donnerstag nach dem Spiel stand die Videoanalyse von unserer Niederlage gegen Ederbergland auf dem Programm. Da waren die automatisch geerdet.

Sprechen wir über deine Karriere. Was ist eigentlich schöner: Eine Bronzemedaille bei Olympia zu gewinnen, oder dem FC Bayern München aus 30 Metern Entfernung mit dem linken Fuß einen in den Winkel zu nageln?

(lacht) Ich glaube letzteres ist tatsächlich schöner. Dieses Tor aus der Saison 1992/93 ist eines meiner schönsten gewesen. Man darf nicht vergessen, dass ich schon in einem gewissen Alter war. Das war meine zweite Laufbahn, ich hatte ja schon mit 30 Jahren aufgehört. Und dann komme ich zur Eintracht, spiele gegen Bayern und haue da mit dem Linken so einen raus. Das war für mich noch einmal etwas ganz besonderes.

War das eine Eingebung oder ein glücklicher Zufall? Hattest du gesehen, dass Aumann im Bayern-Tor nicht gut stand?

Um Gottes Willen, es wäre vermessen das zu behaupten. Nein, ich bin nach innen gekurvt, hörte noch wie Stepi an der Außenlinie schrie: „Nicht, nicht, nicht.“ Eigentlich sollte ich die Linie entlang spielen. Ich hatte aber schon mit links viele solcher Schüsse genommen und dabei auch Tore erzielt. Ich habe dann einfach draufgehalten. Dass er diese Kurve geflogen ist, war natürlich auch Glück.

Die Bronzemedaille von den Olympischen Spielen hängt aber sicher auch noch irgendwo…

Die liegt bei mir im Schrank. Zu besonderen Anlässen, wenn ich z.B. bei der Eintracht Fußballschule mitmache, hole ich die hervor und zeige sie den Kindern. Die staunen dann nicht schlecht.

Du kamst im Sommer 1992 im zarten Fußballeralter von 34 Jahren zur Eintracht. Hattest du mit dem Profifußball nicht schon abgeschlossen?

Ich hatte mit 30 aufgehört, obwohl ich noch einen unterschriftsreifen Zweijahresvertrag in Uerdingen vorliegen hatte. Aber mich hat irgendein Teufel geritten und ich habe meine Sachen zusammengepackt und bin nach Hause gefahren. In Aschaffenburg wollte ich meine Schuhe so langsam an den Nagel hängen. Ich hatte schon drei Jahre lang gemächlich abtrainiert und dann kam Stepi und hat mich wieder ausgepackt.

Wie lief das?

Fortuna Düsseldorf hatte damals Probleme und wollte mich verpflichten. Die hatten ein Spiel bei Waldhof Mannheim, also bin ich hingefahren um mir das mal anzuhören. Stepi hat ein paar Reihen hinter mir gesessen. Später im VIP-Raum habe ich mit Klaus Toppmöller, damals noch Trainer bei Waldhof, gesprochen. Der sagte: „Was willst du in Düsseldorf? Du kannst auch zu mir kommen!“ Auch der Düsseldorfer Trainer sprach dann mit mir, aber Stepi hat das geschickter gemacht: Er hat das mit meiner Frau gebastelt. Er hat gar nicht mich, sondern sie angesprochen und nach drei Tagen hat sie mir die Tasche hingestellt und gesagt: „Du fährst jetzt ins Training, nicht dass du es irgendwann bereust.“ Ich bin der Eintracht dankbar, dass ich das mit 34 nochmal erleben durfte. Wenn ich an die „Rudi, Rudi“-Sprechchöre im Waldstadion denke, ist das für mich noch heute pure Gänsehaut.

Was reizt einen, es in einer solchen Lebensphase nochmal zu versuchen?

Genau diese Emotion. Mit 34 aus dem Stand, das hat brutal wehgetan. Es war wahnsinnig heiß, als ich in der Vorbereitung dazu gestoßen bin. Die anderen kamen gerade aus dem Trainingslager. Die waren schon fit und ich bin erst eingestiegen. Ich habe mir aber nichts anmerken lassen. Ich bin nach dem Training nach Hause, habe meine Frau vorher angerufen und gesagt, sie soll mir eine Badewanne mit Eiswasser vorbereiten. Da habe ich eine gefühlte halbe Stunde lang drin gelegen.

Wie hast du es geschafft, körperlich zu den Jungspunden aufzuschließen?

Ich habe über sechs Wochen lang nichts anderes getan als geschlafen, gegessen und trainiert. Und morgens bin ich mit einem aufgezwungenen Lächeln in die Kabine marschiert. Ich wollte mir keine Blöße geben und habe mir gesagt: Die werden nicht merken, dass mir alles wehtut! In dieser Phase habe ich gelernt, was ein Mensch alles leisten kann. Und ich habe meine Leistung gebracht. Am 2. Spieltag in Köln habe ich mit einem Fallrückzieher den Ball vor der Linie geklärt, so dass wir dort mit 1:0 gewinnen konnten. Da hatte es sich für die Eintracht bereits gelohnt (lacht).

Ihr habt unter Stepi und Toppmöller teilweise überragenden Fußball gespielt, wart eine echte Spitzenmannschaft, auch international. Am Ende deiner Laufbahn ging es mit der Eintracht aber in die 2. Bundesliga. Ein Wehrmutstropfen?

Klar, wobei ich in der Abstiegs- und der ersten Zweitligasaison eigentlich nur noch aushilfsweise gespielt habe. Ansonsten war ich als Co-Trainer im Einsatz. Es war natürlich bitter, auf diese Weise abzutreten.

Danach begann deine lange und erfolgreiche Trainerkarriere. In diesem Sommer kann dir nun ein einmaliges Kunststück gelingen: Wenn Dreieich die Meisterschaft in der Hessenliga gewinnt, hast du als erster Trainer gleich vier Vereine aus unterschiedlichen Ligen zum Aufstieg geführt. Wie wichtig ist dir das?

Ich bin da sehr vorsichtig. Ich weiß, wovon ich rede. Wir stehen gut in der Tabelle aber es warten noch viele schwierige Spiele auf uns. Ich werde mich nicht für etwas feiern lassen, was noch nicht geschafft ist. Da bin ich sehr realistisch.

Die drei errungenen Aufstiege mit den Eintracht Amateuren, Wacker Burghausen und dem MSV Duisburg kann dir aber keiner mehr nehmen. Was bedeuten sie dir?

Das war vor allem harte Arbeit. Ich hatte ja immer Clubs mit bescheidenen finanziellen Mitteln. Es waren meist solche, die hinten drin standen und dort rausgeholt werden mussten, oder Absteiger aus der Bundesliga, bei denen man eine komplett neue Mannschaft aufbauen musste, die aber gleichzeitig höchste Erwartungen hatten. Das war nicht immer leicht und deswegen bedeuten mir diese Aufstiege auch viel.

Du bist auch Spieler der Traditionsmannschaft von Eintracht Frankfurt. Welchen Stellenwert hat  Tradition im Fußball?

Tradition ist etwas sehr Schönes. Man muss sie sich über Jahrzehnte hart erarbeiten. Mich freut es immer, wenn ich bei der Tradi mitspielen kann. Man darf ja nicht vergessen: Ich spiele dort nicht nur mit ehemaligen Mannschaftskameraden zusammen, sondern auch mit Jungs, die ich selbst noch trainiert habe. Ob das Oka Nikolov ist, Adi Dworschak, Alex Schur, auch Slobodan Komljenovic und Michael Anicic haben damals Spiele unter meiner Leitung bestritten. Das ist schon toll.

Tradition ist ein Dauerthema in der Bundesliga, jüngste Reizfigur ist RB Leipzig. Wie bewertest du die aktuellen Diskussionen?

Das hat es doch schon immer gegeben. Ich habe früher für Bayer Uerdingen gespielt. Werksmannschaften waren damals genauso verschrien, das haben wir hautnah miterlebt. Dass solche Vereine den Fans zunächst ein Dorn im Auge sind, verstehe ich. Aber am Beispiel Leverkusen zeigt sich doch auch ganz deutlich, dass der Verein inzwischen selbst auf etliche Bundesliga- und Europapokalgeschichten zurückblicken kann und eine eigene Tradition begründet hat. Bei Hoffenheim und Leipzig wird die Kritik bei anhaltendem Erfolg genauso abebben.

Auch das Projekt SC Hessen Dreieich wird in der Region immer wieder mit Leipzig und Hoffenheim verglichen. Ist da was dran?

(lacht). Das ist völliger Quatsch. Wir haben einen durchschnittlichen Hessenliga-Etat. Das betone ich immer wieder, weil es einfach so ist. Wir haben auch nicht das Ziel, mit der ersten Mannschaft immer höher aufzusteigen. Das Projekt zielt auf die Jugendarbeit ab. Die wollen wir Fördern und das werden wir auch weiterhin tun.

Ein Verein, dem es an Tradition jedenfalls nicht mangelt, ist der heutige Gegner aus Hamburg. Wie geht das Spiel aus?

Ich denke es ist mal wieder Zeit für einen Heimsieg. Ich sage 2:0.