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24.02.2014
Klubmagazin

„Da vergisst du alles um dich herum"

Zum Heimspiel gegen Werder Bremen stand uns Andree Wiedener für ein Interview zur Verfügung.

Andree Wiedener, Du kannst auf eine lange Bundesliga-Karriere zurückblicken. Bevor Du 2002 zu Eintracht Frankfurt kamst, standest Du über vierzehn Jahre lang in Diensten von Werder Bremen. Heute treffen beide Mannschaften in der Bundesliga aufeinander. Mit welchen Gefühlen blickst Du auf diese Partie?

Ich bin völlig relaxt. Auch wenn beide Mannschaften zurzeit im hinteren Drittel der Tabelle stehen und um jeden Punkt fighten müssen, ist die Situation noch nicht dramatisch. Es ist noch viel Zeit.

Du hast es angesprochen, für beide Vereine ist die sportliche Situation derzeit angespannt. Woran liegt es?

Bremen ist im Umbruch. Thomas Schaaf stand jahrelang in der Verantwortung, jetzt ist mit Robin Dutt ein neuer Trainer da. Man kann nicht erwarten, dass von heute auf morgen alle Konzepte greifen. So etwas braucht Zeit. Und auch bei der Eintracht durfte man diese Saison keine Wunderdinge erwarten und dass es einfach so weiterläuft wie im letzten Jahr. In den beiden Pokalwettbewerben ist der Erfolg auch immer noch da. Das ist für den Verein riesig. In der Bundesliga müssen sie jetzt natürlich sehen, dass sie punkten, das ist das A und O. Ich bin in beiden Fällen guter Dinge.

Sprechen wir über Deine Anfangszeit. Mit 23 Jahren bist Du vergleichsweise spät in den Profifußball eingestiegen. Hattest Du noch damit gerechnet den Sprung zu schaffen?

Das war damals eine andere Zeit. Heute werden Jugendspieler sehr früh unter Vertrag genommen, damit sie nicht weggeschnappt werden. Damals gab es noch den Status des Vertragsamateurs. Man gehörte zum Profi-Kader, musste sich aber erst mal über eine längere Zeit bei den Amateuren behaupten.

Das Bundesliga-Debüt gab es am 28.08.1993 im Fritz-Walter-Stadion gegen den 1. FC Kaiserslautern. Werder führte kurz vor Schluss mit 3:1, der Sieg schien sicher, dann kam Lautern in der 88. Minute nochmals heran. Das alles erlebtest Du von der Bank. Otto Rehhagel musste reagieren. Erzähl...

Die ersten Spiele, die ich im Profi-Bereich absolviert habe, waren meistens Einwechslungen kurz vor Schluss. Ich wurde gebracht um die Punkte mit nachhause zu bringen. Und der Betze war früher ja eine Festung. Dort gewinnen zu können war eine riesen Geschichte.

Warst du nervös?

Überhaupt nicht. Wenn du gerufen wirst, heißt es „zack“, dann geht’s los, Trainingsjacke weg und aufs Feld. Da vergisst du alles um dich herum. Das ist dieser berühmte Tunnelblick.

Verteidiger wie Du sind selten Torjäger. Gleich in Deiner ersten Saison gelang Dir jedoch eine Besonderheit. Kannst Du Dich an die Partie gegen den Karlsruher SC am 19.09.1993 erinnern?

Ja klar. Meine ersten Spiele waren wie gesagt meist Kurzeinsätze, allerdings im vorderen Bereich auch wenn ich Abwehrspieler war. Das war genau Ottos Plan: Stürmer raus, Verteidiger vorne rein, der gleich den Spielaufbau stört, damit die Angriffe gar nicht zustande kommen. Und das war auch in Karlsruhe der Fall. Ich kam für Bernd Hobsch in der 86. Minute rein, es stand 1:0 für uns, der Trainer wollte den Sieg nachhause bringen. Ich sollte vorne den Libero angreifen und wie es halt so üblich ist, wird im Fall der Balleroberung der Mann in der Spitze gesucht. So kam ich dann innerhalb von fünf Minuten gleich zweimal zum Torerfolg.

So ein Doppelpack ist Dir kein zweites Mal gelungen...

(lacht) Auf keinen Fall. Ich kam selten in den Genuss von Torchancen, meine Quote ist dafür umso besser. Die wenigen, die ich hatte, habe ich genutzt. In den ersten drei Spielen kam ich glaube ich auf zwölf Spielminuten. Da muss man erst mal zwei Buden machen...

Zu Deiner Werder-Zeit war Eintracht Frankfurt in der Bundesliga für Dich ein dankbarer Gegner: Kennst Du die Bilanz?

Nein, beim besten Willen nicht.

Vier Siege, ein Unentschieden, keine Niederlage...

Oh, das ist jetzt doch überraschend. Das müssen alles Heimspiele gewesen sein.

Lediglich im DFB-Pokal konnte die Eintracht gewinnen, als Du auf dem Platz standest. Die damalige Zweitliga-Mannschat der Eintracht gewann in einem für die Fans unvergessenen Spiel mit 3:0. Als Du allerdings eingewechselt wurdest, war die Partie schon gelaufen. Erinnerst Du Dich?

Wann soll das gewesen sein?

1997...

Ich glaube, das muss ich verdrängt haben...

Wenn wir schon beim DFB-Pokal sind: Das sportliche Highlight Deiner Karriere dürften die Pokalsiege 1994 und 1999 darstellen. Besonders das 99-er Finale gegen den FC Bayern war dramatisch. Du hast das komplette Spiel bestritten.

1999 war natürlich eines der größten Highlights. Man muss ja auch die Vorgeschichte sehen. Wir waren in der Liga so gut wie abgestiegen. Mit dem neuen Trainer Thomas Schaaf konnten wir das abwenden und trafen dann im Pokalfinale auf die Bayern, die dieses dramatische Finale in der Champions League kurz zuvor gegen ManU verloren hatten. Das war die Konstellation. Bayern war sicherlich deprimiert, wir hochmotiviert und freudestrahlend, weil wir den Klassenerhalt geschafft hatten. Wir konnten den Bayern Paroli bieten, haben mit einer richtig guten Leistung das Elfmeterschießen erreicht und auch dank eines überragenden Frank Rost nicht unverdient gewonnen.

Wer war dein Gegenspieler?

Mario Basler, den ich dann ich der Verlängerung auch mit gelb-rot vom Platz schicken konnte. Da gab es ja im Vorfeld diese Riesengeschichte weil es zu unserer gemeinsamen Zeit in Bremen mal Unmutsäußerungen seinerseits in meine Richtung gab. Das wurde von den Medien dann aus den Schubladen geholt und ordentlich breitgetreten. Ich muss dazu sagen, dass Mario und ich uns heute gut verstehen. In dem Spiel war ich einfach nur froh, dass ich Mario bändigen konnte, wir wussten ja alle, wie gut er war. Und dass er vorzeitig aus dem Spiel kam und so keinen Elfer mehr schießen konnte, war sicher auch nicht zu unserem Nachteil.

Als Verteidiger überzeugtest Du vor allem durch klassische Tugenden wie Einsatzbereitschaft und Kampfgeist. Attribute, die auch in der zweiten Bundesliga geschätzt werden. Wie kam es, dass Du Dich nach so vielen Jahren für einen Wechsel zur Eintracht entschieden hast?

Das lag auf der Hand. Ich hatte eine schwere Verletzung, die mich mehrere Monate außer Gefecht gesetzt hat. Danach fand ich in Bremen keinen Anschluss mehr. Ich hatte noch eine Weile auf meine Chance gehofft, aber die kam nicht mehr, so dass für mich klar war, dass ich etwas Neues ausprobieren würde. Ich war noch nicht zu alt und wollte nicht den Rest meiner Zeit auf der Bank versauern. Es kamen dann Anfragen, letztendlich habe ich mich für die Eintracht entschieden.

Zu den emotionalsten Momenten bei der Eintracht zählen die beiden Aufstiege 2003 und 2005. Das dramatische Match gegen Reutlingen musstest Du von außen verfolgen. Das Saisonfinale 2005 gegen Burghausen spieltest Du über die volle Distanz. Wie hast Du die Spiele erlebt?

Gut, zum Spiel gegen Reutlingen muss ich sicher nicht viel sagen. Wer die Eintracht kennt, weiß, was da los war. Die, die das Stadion vorzeitig verlassen haben, werden sich heute noch in den Arsch beißen. Das war ein Highlight, ein Aufstieg, der zu Beginn der Saison eigentlich gar nicht eingeplant war. Und dann in einer solchen Dramatik, Wahnsinn! Ich bin froh, dabei gewesen zu sein. Und der Aufstieg 2005 war doch relativ souverän. Wir waren gut drauf und hatten alles selbst in der Hand. Das war schon eine andere Nummer. Und für mich selbst war es mit 35 eine Genugtuung, noch dazuzugehören und noch eine Vertragsverlängerung für die erste Liga zu bekommen.

Nach dem Aufstieg 2003 gab es im einzigen Aufeinandertreffen mit Deinem Ex-Verein eine 3-1 Niederlage. Wie war die Rückkehr ins Weserstadion?

Erstmal ist es so, dass du total konzentriert auf dein Spiel bist. Nach dem Spiel, das wir relativ deutlich verloren hatten, haben mich die Werder-Fans gefeiert. Ich genieße dort auch heute noch ein großes Ansehen, was mich sehr stolz macht…

...wird der „Andree-Wiedener-Tanz“ auch heute noch zelebriert?

Ja, allerdings seltener, da das normalerweise nach Erfolgen geschieht und die zuletzt etwas weniger geworden sind. Jedenfalls hat es mich sehr glücklich gemacht, als ehemaliger Spieler und damaliger Gegner so gefeiert zu werden. Das passiert ja auch nicht alle Tage.

Nun kommt es also erneut zum Aufeinandertreffen deiner beiden Vereine. Wer gewinnt?

Ich tippe selten, weil ich meist danebenliege. Ich glaube das gibt ein Spiel auf Augenhöhe, das durch Kleinigkeiten entschieden wird. Ich sage Unentschieden.

Und wo landen die beiden am Ende der Saison?

Ich gehe davon aus, dass beide die Klasse halten und zwischen 12 und 14 landen.

Zuletzt noch eine Frage zur Traditionsmannschaft. Du bist seit 2006 dabei. Was bedeutet Dir das?

Das macht riesig Spaß, die Truppe ist sensationell. Es ist schön, ohne den großen Druck Fußball spielen zu können, einfach aus Spaß am Spiel. Natürlich muss man auch sagen, dass der Ehrgeiz nach wie vor extrem ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es beim Aufeinandertreffen von Traditionsmannschaften höher hergeht als damals in der Bundesliga. Aber es ist sehr schön die Leute zu sehen. Ich bin froh dabei zu sein. ich hoffe allerdings, dass wir bald ein wenig Nachwuchs bekommen, damit ich als jüngerer Spieler ein wenig Unterstützung im läuferischen Bereich bekomme.

Vielen Dank für das ausführliche Interview und alles Gute, Andree!